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Bearbeitungshinweise des Bundesministeriums des Innern für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 Häftlingshilfegesetz (HHG)

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Bearbeitungshinweise des
Bundesministeriums
des Innern

für Feststellungen im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2

Häftlingshilfegesetz (HHG)



(Stand: 24.06.2003)



Inhaltsverzeichnis



I.

Bearbeitungshinweise zum Häftlingshilfegesetz (HHG)




1. Allgemeines


Abgrenzung HHG/KgfEG


2. Begriff "politisch"


3. Nicht zu vertretende Gründe


4. Gewahrsam


5. Einzelne Fallgruppen


a) In die ehemalige UdSSR verschleppte Fachkräfte (Spezialistenaktion)


b) Waldheim-Häftlinge


c) Werwolf-Verdacht oder willkürliche Festnahmen


d) Abtransport von Vertriebenen


e) Arbeitsverpflichtung (Zwangsarbeit)


f)  Zivildeportierte aus den ehemaligen Reichsgebieten östlich von Oder und Neiße


g) Verschleppung innerhalb der ehemaligen UdSSR


h) Einzelne volksdeutsche Gruppen


aa) Russlanddeutsche


bb) Volksdeutsche aus der Karpatho-Ukraine


cc) Verschleppung von Rumäniendeutschen in die UdSSR


dd) Rückführung von Rumäniendeutschen


ee) Verschleppung Rumäniendeutscher in die Baragan-Steppe


ff )Jugoslawiendeutsche


gg) Memeldeutsche


6. Ausschließungsgründe


7. Härteregelung


8. Bescheinigung/Feststellung nach § 10 Abs. 4 HHG


9. Verfahren


10. Anwendung in den neuen Ländern



II.

Statuswechsel vom ehem. Kriegsgefangenen zum ehem. politischen Häftling



III.

Regelung des § 25 Abs. 2 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz





Anlage 1 : BMI-Rundschreiben vom 10. März und vom 13. September 1993 – VtI1 – 906 110/3 –



Anlage 2 : Anlage zum Vordruck für Anträge gemäß § 18 Satz 1 HHG



Anlage 3 : Anschriftenliste



Anlage 4 : NKWD/MWD-Sonder- oder Speziallager sowie kartographisches Material



Anlage 5 : Antwort des PSt Körper vom 17.04.2002, Plenarprotokoll 14/229, S. 22717f





Literaturhinweis: Als Hilfe für die Verwaltungspraxis empfiehlt sich die kleine Monographie von Thomas von Lindheim „Zur Auslegung von § 1 des Häftlingshilfegesetzes“, 1989, die sich insbesondere mit den Tatbestandsmerkmalen „politisch“ und „Vertretenmüssen“ befasst.





I.
Bearbeitungshinweise zum Häftlingshilfegesetz (HHG)


1.
Allgemeines


Rechtsgrundlage


Rechtsgrundlage ist das Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz [HHG]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. Juni 1993 (BGBl. I S. 838), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2662).


Zweck des HHG


Das HHG hebt auf den Gewahrsam ab, der als Folge des Zweiten Weltkrieges auf die politische Entwicklung der Nachkriegszeit in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in den Aussiedlungsgebieten zurückzuführen ist: Die bei der Errichtung und Sicherung kommunistischer Herrschaftssysteme angewendeten Methoden waren mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Deshalb sollte nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs des HHG mit dem Gesetz in erster Linie denjenigen ehemaligen Sowjetzonenhäftlingen geholfen werden, die als sogenannte Klassenfeinde galten oder deshalb verurteilt wurden, weil sie sonst geeignet erschienen, den Aufbau einer Volksdemokratie in der SBZ zu hindern oder zu stören (BT-Drs. II/1450, Anlage I S. 5). Aber auch derjenige, der „unter dem Gesichtspunkt der Brechung des politischen Widerstandes gegen die Sowjetisierung“ in den im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) umschriebenen Gebieten als politischer Häftling behandelt wurde, sollte nach dem HHG leistungsberechtigt sein (vgl. aaO S. 6f). Hierunter fallen auch die Verschleppungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, die der Bestrafung und Verfolgung deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger dienten (vgl. auch nachfolgend 5. g) und h)).


Abgrenzung HHG – KgfEG/HKStG


Im Unterschied hierzu zielte das durch Artikel 5 des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (KfbG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094) mit Wirkung vom 01. Januar 1993 aufgehobene Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgfEG), dessen Abschnitt III modifiziert fortgeführt wird durch das am 01. Januar 1993 in Kraft getretene Heimkehrerstiftungsgesetz (HKStG) (=Artikel 6 des KfbG), auf Gewahrsamnahmen, die unmittelbar mit der Führung des Zweiten Weltkrieges zusammenhingen (bei echten Kriegsgefangenen i.S.v. § 2 Abs. 1 KgfEG ohne weiteres gegeben). Die Festhaltung musste zur Wahrung des Sicherheitsinteresses der (Krieg führenden) Gewahrsamsmacht erfolgt sein (BVerwGE vom 25.03.1959 – V C 623.56 - [=BVerwGE 8, 222]).


Nach früherer Verwaltungspraxis war maßgebender Zeitpunkt für die Anwendung des HHG der Zeitraum ab dem 08. Mai 1945. Bei Verschleppung bis zu diesem Tage wurde dagegen angenommen, dass es sich um eine Kriegsführungsfolge handele und dementsprechend das KfgEG anzuwenden sei, wohingegen bei Verschleppungen nach diesem Datum diese als Kriegsfolge bewertet und das HHG angewandt wurde (für Gewahrsamnahmen in Polen wurde der 31.05.1945 als Datum angenommen, bis zu dem die Gewahrsamsmacht „sich maßgeblich von Befürchtungen hat leiten lassen, die deutschen Bevölkerungsteile könnten der „Befreiung“ des Landes und dem staatlichen Neuaufbau hinderlich werden“, d.h. Sicherheiserwägungen für die Gewahrsamnahme im Vordergrund standen, die zur Anwendung des KgfEG führten, vgl. BVerwGE vom 29.06.1959 – V C 292.57 –[=Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 13], mit längerer Darstellung der gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Maßnahmen der ersten Nachkriegsjahre; für die damalige Tschechoslowakei war der 28.10.1945 die Datumsgrenze, bis zu deren Erreichen in der Regel von einem Kriegsgefangenenschicksal ausgegangen wurde, vgl. BVerwGE vom 25.03.1959 – V C 623.56 –[=Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 11], gleichfalls mit Ausführungen zur Historie).


Nach der jüngeren Rechtsprechung lässt allein der Umstand, dass z.Z. der Gewahrsamnahme noch Kampfhandlungen stattgefunden haben, nicht den Schluss zu, die Festnahme sei aus militärischen Sicherheitserwägungen erfolgt (vgl. etwa BVerwGE vom 09.09.1970 – V C 121.68 -[= BVerwGE 36,86; Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 31]: Die Entscheidung befasst sich mit von der heranrückenden Front zur Jahreswende 1944/45 überrollten Zivilisten, die jedenfalls dann keine Geltungskriegsgefangenen sind, „wenn kein Ereignis der militärischen Kriegsführung, sondern vorwiegend besatzungspolitische Gründe Anlaß für ihre Festnahme waren“ (aaO S. 89); letzteres trifft nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats „für die in dem sowjetisch besetzten Teil Ostpreußens zurückgehaltenen deutschen Zivilpersonen, wie überhaupt für entsprechende Maßnahmen der Besatzungsmacht gegenüber der Bevölkerung in den übrigen deutschen Ostgebieten zu“ (aaO).
In der neueren Verwaltungspraxis ist dieser Rechtsprechung auch insoweit Rechnung getragen worden, als bei Aufrechterhaltung der Unterscheidung zwischen Kriegsführungsfolge (KgfEG/HKStG) und Kriegsfolge (HHG) jedenfalls bei Begründung des Gewahrsam von Russlanddeutschen ab Anfang 1945 und späterer Verschleppung in die ehemalige UdSSR grundsätzlich angenommen wurde, dass es sich um einen politischen Gewahrsam i.S.d. HHG mit dem Ziel der Bestrafung bzw. Vergeltung gehandelt hat (vgl. nachfolgend 5. h)).


Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zum KgfEG war für dessen Anwendung allein der ursprüngliche Grund der Festnahme bestimmend. Ein Wechsel der Gewahrsamsmacht oder des Festhaltegrundes im Laufe der Gefangenschaft war dagegen unerheblich (BVerwGE vom 17.03.1983 – 5 C 50.82 –[=Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 40] und vom 29.06.1993 – 9 C 4.93 -, Umdruck S. 12).


Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige


Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes ist beschränkt auf deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige. Dieser Status muss sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt des Beginns des Gewahrsams vorliegen (BVerwGE vom 30. 05. 1978 - 8 C 58.77 – [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 21]).


Angehörige/Hinterbliebene


Begünstigt werden auch Angehörige und Hinterbliebene. Es gilt die Begrifflichkeit des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Danach sind Angehörige die Ehepartner, Witwer/Witwen, Waisen [i.e. definiert in § 45 BVG] und Eltern [den Eltern gleichgestellte Personen werden in § 49 Abs. 2 BVG definiert]; Hinterbliebene sind die überlebenden Ehepartner, die Waisen sowie Verwandte aufsteigender Linie.


Deutsche Volkszugehörigkeit


Auszugehen ist von der Normierung in § 6 BVFG.


Kinder


(Die nachfolgenden Hinweise haben vor allem Bedeutung für Russland-deutsche.)


Im Gewahrsam (vgl. nachfolgend 4.) geborene Kinder teilen das Häftlingsschicksal ihrer Eltern. Das gilt auch für Kinder, die in der Zeit des sogenannten Anschlussgewahrsams im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG (vgl. nachfolgend 4.) geboren worden sind.


Bei ehelichen Kindern wird der Status von dem Elternteil abgeleitet, dem im Zeitpunkt der Geburt das Personensorgerecht allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil zustand.


Ein mit den Eltern zwangsweise ins Ausland verbrachtes Kind wurde dann aus politischen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG in Gewahrsam genommen, wenn der Gewahrsam der Eltern politisch bedingt war (BVerwGE vom 28. 10. 1983 - 8 C 38.82 -).


Die im Gewahrsam geborenen Abkömmlinge von Berechtigten, die selbst im Gewahrsam geboren sind, erhalten gemäß § 1 Abs. 7 1. HS HHG keine Leistungen (leistungsberechtigt ist nur die erste im Gewahrsam geborene Generation).


Beschränkte Erweiterung des Personenkreises


Nach der Verordnung über die Gleichstellung von Personen nach § 3 des Häftlingshilfegesetzes vom 1. August 1962 (BGBl. I S. 545), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2094), erhalten deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige Beschädigtenversorgung nach Maßgabe des § 4 HHG, wenn sie aus politischen und von ihnen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen geflüchtet sind und eine gesundheitliche Schädigung infolge von Maßnahmen zur Verhinderung der Flucht erlitten haben. Hinterbliebene erhalten Hinterbliebenenversorgung.


2.
Begriff "politisch"


"Politisch" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG sind solche Gewahrsamsgründe, die sich auf die besondere innenpolitische Entwicklung zurückführen lassen, welche die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gebiete - im Unterschied zur innenpolitischen Entwicklung in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen - in der Nachkriegszeit genommen haben. Sie ist geprägt von der marxistisch-leninistischen Ideologie und unvereinbar mit den Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung (BVerwGE vom 10.05.1961 - 8 C 190.60 – [=BVerwGE 12, 236, 241]).


Der durch die marxistisch-leninistische Ideologie geprägte Gewahrsam ist politischer Gewahrsam, weil er nach den im Geltungsbereich des HHG herrschenden rechtsstaatlichen Grundsätzen auch unter Berücksichtigung der traditionellen Anschauungen im Gewahrsamsgebiet nicht vertretbar ist. Erst die Rechtsstaatswidrigkeit macht den politisch motivierten Gewahrsam zum politischen Gewahrsam im Sinne des HHG.


Der Begriff des „Politischen“ in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG ist daher nicht allein nach den das Herrschaftssystem im Gewahrsamsgebiet prägenden ideologischen Motiven zu beurteilen, sondern unabhängig davon nach seiner an den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit (BVerfGE 21, 378, 388; 33, 367, 383), Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 19, 342, 348) und Toleranz (BVerfGE 17, 306, 313 ff) gemessenen Vertretbarkeit (BVerwGE vom 22.06. 1977 - VIII C 4.76 – [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 17 S. 19]). Es ist danach nicht entscheidend, wenn jemand von der sowjetischen Besatzungsmacht in Gewahrsam genommen wurde, weil sie den Betreffenden wegen seiner früheren Tätigkeit für die NSDAP (Ortsgruppenleiter) als ihren politischen Gegner angesehen hat: „Es genügt, daß seine Haft nach Grund und Dauer durch die politischen Verhältnisse in der SBZ bedingt war“ (BVerwG vom 09.09.1959 - VIII C 281.59 –[=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 1 S. 2; dort auch Ausführungen zur Frage des sog. automatischen Arrests auf Grund der Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrats vom 12.10.1946, der auch politischer Gewahrsam i.S.d. HHG sein kann, „wenn die Umstände ergeben, daß er nach Grund und Dauer durch die in der SBZ bestehenden politischen Verhältnissen bestimmt worden ist“ {aaO S. 4ff mit Einzelheiten}]).


Die Funktion des Tatbestandsmerkmals „politisch“ besteht darin, „ein Sonderschicksal der Deutschen“ herauszuheben – im Unterschied zur lagermäßigen Unterbringung als Folge von Arbeitsverpflichtungen oder zum Zweck des Abtransports von Vertriebenen (BVerwGE vom 03.09.1980 – 8 C 8.87 –[= BVerwGE 60,343; Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 24 S. 64]). Politisch ist danach der ideologisch aus dem Marxismus-Leninismus begründete Gewahrsam, der auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse, deren Überwindung er dient, willkürlich ist (BVerwG aaO; vgl. dort auch zu den sonstigen Fällen [außerhalb des § 1 Abs. 6 HHG], in denen ein politischer Gewahrsam von vorneherein zu verneinen ist: Kriegsgefangenschaft, Verfolgung kriminellen Unrechts, Sicherheitsgründe, Versorgung der Besatzungsmacht oder Störung allgemeiner Besatzungsziele, echte Repatriierung oder „übliche Notmaßnahme“ [aaO S. 66f {m.w.N.}]; vgl. ferner BVerwGE vom 28.06.1978 – 8 C 65.77 –[= Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22 S. 55ff]).


3.
Nicht zu vertretende Gründe


Das Gesetz knüpft mit dem „unbestimmten Rechtsbegriff des Nichtvertretenmüssens“, der – neben den Ausschließungsgründen in § 2 HHG - die Grenzen markiert für die „Verpflichtung und Bereitschaft des in rechtsstaatlichen Verhältnissen lebenden Teiles des deutschen Volkes zur Hilfe“ (BVerwG vom 09.09.1959 [aaO S. 8]), nicht an strafrechtliche oder zivilrechtliche Verschuldensgrundsätze an. Zweck dieses negativen Tatbestandsmerkmals ist die Abgrenzung zwischen einem politisch bedingten, dem System zuzurechnenden Gewahrsam und einem solchen, der dem Häftling zuzurechnen ist (BVerwGE vom 30.03.1989 – 9 B 467.88 [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 29]). „Der Begriff des Vertretenmüssens gibt den Maßstab dafür, bis zu welchem Grade dem Betroffenen zugemutet werden kann, sich an das System des Gewahrsamsstaats anzupassen. Bei dieser Prüfung sind nicht ohne weiteres die im Geltungsbereich des HHG geltenden Rechtsanschauungen auf den Gewahrsamstaat zu übertragen. Auszugehen ist vielmehr von den im Gewahrsamsstaat herrschenden Verhältnissen. Mit diesen müssen die Betroffenen leben. Setzen sie sich in Widerspruch zu dem dortigen System, so ist ihnen ein dadurch erlittener politisch bedingter Gewahrsam nicht zuzurechnen, wenn ihnen die Anpassung an dieses System in dem tangierten Bereich nicht zugemutet werden kann. Maßstab hierfür ist die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG angeführte freiheitlich-demokratische Auffassung. Da das HHG jedoch nicht dazu dienen soll, der Abwanderung der deutschen Bevölkerung aus den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gebieten Vorschub zu leisten, sondern bezweckt, dem politischen Häftling, der in dem System des Gewahrsamsstaats gelebt hat und ihm zum Opfer gefallen ist, zu helfen und der im Gewahrsamsstaat lebenden deutschen Bevölkerung dadurch inneren Rückhalt zu geben, ist es auch nach freiheitlich demokratischer Auffassung zuzumuten, sich an die Regeln zu halten, die dem privaten Bereich und dessen Sicherstellung durch Arbeit, Güterversorgung und öffentliche Sicherheit und Ordnung dienen“ (BVerwG aaO S. 3f).
Wer den Gewahrsam überwiegend durch ein Verhalten herbeigeführt hat, das er hätte vermeiden können und müssen, weil er mit einer Haft nach Art und Dauer des erlittenen Gewahrsams rechnen musste, hat die Gründe des Gewahrsams zu vertreten, es sei denn, dass ihm ein anderes Verhalten nicht zuzumuten war (BVerwGE vom 09.09.1959 – VIII C 281.59 –[=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 1 S. 9] sowie vom20.08.1975 – VIII C 89.74 –[=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 16 S. 9]).
Ein auf ein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus zurückzuführender politischer Grund für den Gewahrsam ist dann von dem Betroffenen zu vertreten, „wenn nach der heute maßgeblichen freiheitlich-demokratischen Auffassung ein anderes Verhalten zumutbar war. Verstieß das Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus nach außen hin gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit oder Menschlichkeit, dann braucht dies dem späteren politischen Häftling zwar nicht notwendig als ein bewußter Verstoß gegen diese Grundsätze zum Vorwurf zu gereichen; es kann aber gleichwohl sein, daß er den Grund seines Gewahrsams vertreten muß“ (BVerwGE vom 29.04.1968 – VIII C 91.64 – [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 5 S.27]).
Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Nichvertretenmüssens sind die Ausschließungsgründe des § 2 HHG heranzuziehen (BVerwGE vom 09.09.1959 – VIII C 281.59 – [Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 1 S.1 (10)]). Demgemäss reicht der Beitritt zur NSDAP oder die Ausübung einfacherer Funktionen (im konkreten Fall: Ortsgruppenleiter) im allgemeinen nicht, ein Vertretenmüssen zu bejahen, vielmehr muss eine verwerfliche Förderung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft festgestellt werden, ein Vorschubleisten, das der Bezeichnung jener Fälle vorbehalten bleibt, „die in besonders hohem Maße zu mißbilligen sind“ (BVerwG aaO S. 12; [bei welchen Funktionen dies angenommen werden kann, wird in diesem Zusammenhang nicht erörtert]).


4.
Gewahrsam


§ 1 Abs. 5 Satz 1 HHG definiert den Regelfall des Gewahrsams als ein Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung. „Satz 2 erweitert diese Begriffsbestimmung unter den dort genannten Voraussetzungen auf die Verweildauer im ausländischen Staatsgebiet“ (BVerwGE vom 26.06.1978 – 8 C 72.77 –[= Buchholz 412.6 § 10 HHG Nr. 12 S. 8).


Ein „Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum" setzt in aller Regel die Unterbringung in einem Zuchthaus, Gefängnis oder Lager voraus. Dem steht eine gewisse Lockerung der Bewegungsfreiheit, wie sie z.B. für die Verrichtung einer angeordneten Arbeit erforderlich sein kann, nicht entgegen, wenn die Freiheitsbeschränkung gleichwohl noch nachhaltig gewesen ist (BVerwGE vom 22.06.1977 – VIII C 4.76 -[= Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 17 S. 25]).


Bloße Aufenthaltsbeschränkungen, Polizeiaufsicht und die damit verbundene Meldepflicht sowie Ausreiseschwierigkeiten erfüllen für sich allein diese Voraussetzungen nicht (BVerwG aaO [speziell zum Aufenthalt in Sibirien, der als solcher nicht ausreicht, hinzukommen muss vielmehr, „daß die Bewegungsfreiheit in Sibirien erheblich stärker eingeschränkt war als die der deutschen Bevölkerung der Sowjetunion im allgemeinen“]).


Dauernde Bewachung setzt keine ununterbrochene Bewachung durch militärische, polizeiliche oder sonstige staatliche Kräfte voraus. Sie kann zu einem erheblichen Teil auch dem Arbeitgeber übertragen worden sein. Wesentlich ist, dass sie die Einhaltung der dem Betroffenen auferlegten Freiheitsbeschränkungen gewährleistete, und dass die Freiheitsbeschränkung auf der Anwendung oder Androhung von physischem Zwang beruht hat (BVerwG aaO).


Anschlussgewahrsam


Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG hat Bedeutung nur für die Dauer des Gewahrsams, nicht jedoch für seinen Beginn, vielmehr richtet sich dieser allein nach § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG (BVerwG vom 26.07.1978 [aaO S. 8f]; ferner BVerwG vom 22.06.1978 [aaO S. 16]). Ein Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 1 aus den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG genannten Gründen muss daher dem sogenannten Anschlussgewahrsam stets vorausgegangen sein.


Wurde ein politischer Häftling (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG) gegen seinen Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht, so gilt die Zeit nach der Entlassung aus dem Regelgewahrsam bis zur Ausreise (Aussiedlung) als sogenannter Anschlussgewahrsam (§ 1 Abs. 5 Satz 2 HHG). Dies gilt jedoch nur, solange der Betroffene am Verlassen des ausländischen Hoheitsbereichs gehindert war (BVerwG vom 22.06.1978 [aaO S. 15], d.h. längstens bis zum 31. Dezember 1989).


Von einer „Verbringung gegen den Willen" kann nur ausgegangen werden, wenn der politische Häftling Opfer eines für ihn unausweichlichen Gewaltaktes der Gewahrsamsmacht geworden ist. Die freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen und Evakuierten an den früheren Wohnort oder in das frühere Wohnsitzgebiet im Ausland ist keine „Verbringung gegen den Willen" des Betroffenen, und zwar auch dann nicht, wenn sie in der ersten Nachkriegszeit mit Transportmitteln und - meist bewaffneten – Begleitmannschaften der damaligen Militäradministration durchgeführt wurde. Desgleichen reicht die Befolgung der allgemein in der damaligen sowjetischen Besatzungszone und in den sowjetisch besetzten Gebieten Ostdeutschlands 1945/46 und 1947/48 an die dort nicht ortsansässige Bevölkerung gerichteten Aufforderung, wieder an den früheren Wohnort zurückzukehren, nicht aus, um den Tatbestand des § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG zu erfüllen.


Gewahrsamsgebiet


Sowohl § 1 Abs. 5 Satz 1 als auch § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG setzen „die Festlegung der Gewahrsamsgebiete voraus, in denen ein nach dem HHG rechtserheblicher Gewahrsam i.S. des § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG verhängt worden sein kann. Dies ist in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG geschehen“ (BVerwGE vom 28.06.1978 – 8 C 65.77 –[= Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22 S. 53]).


5.
Einzelne Fallgruppen


a)
In die UdSSR verschleppte Fachkräfte (Spezialistenaktion)


Die in die Sowjetunion verschleppten deutschen Fachkräfte sind keine politischen Häftlinge im Sinne des HHG: Grund des Gewahrsams war ihre Heranziehung zum Wiederaufbau der sowjetischen Wirtschaft oder deren Weiterentwicklung wegen ihrer besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten. Festhaltungsgründe wie Arbeitseinsatz (vgl. nachfolgend e)), Vertreibung oder Aussiedlung sind indessen keine politischen Gründe i.S.d. HHG (BVerwGE vom 27.04.1961 - VIII C 151.60 – [=BVerwGE 12,220; Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 2]; vgl. ferner BVerwGE vom 25.03.1965 – VIII C 395.63 – [=BVerwGE 21,33; Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 3]).


b)
Waldheim-Häftlinge


Es handelt sich insoweit ausschließlich um Fälle, für die eine strafrechtliche Rehabilitierung in Betracht kommt (§ 1 StrRehaG), eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG allerdings jetzt nicht mehr ausgestellt werden kann (§ 25 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StrRehaG, vgl. nachfolgend III.). Auf weitere Ausführungen an dieser Stelle wird daher verzichtet.


c)
Werwolf-Verdacht oder willkürliche Festnahmen


Hierzu gelten weiterhin die mit Rundschreiben vom 10. März und vom 13. September 1993 – VtI1 – 906 110/3 - an die obersten Länderbehörden dargelegten Grundsätze (Kopie als Anlage beigefügt).


d)
Abtransport von Vertriebenen


Eine lagermäßige Unterbringung zum Zwecke des Abtransportes von Vertriebenen oder Aussiedlern gilt nach § 1 Abs. 6 HHG nicht als politischer Gewahrsam i.S.d. HHG.


Um eine lagermäßige Unterbringung zum Zwecke des Abtransportes handelte es sich insbesondere bei den in Auffanglagern untergebrachten Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten sowie bei den in Polen und in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen und Volksdeutschen, die in Lagern zusammengefasst wurden, um ihre Ausweisung nach Deutschland vorzubereiten.


e)
Arbeitsverpflichtungen (Zwangsarbeit)


Unter „Arbeitsverpflichtungen" i.S.v. § 1 Abs. 6 HHG „ist jeder Festhaltegrund zu verstehen, der die Leistung von Arbeit zum Gegenstand hat. Darunter fällt sowohl die freiwillig übernommene Pflicht als auch deren durch die Umstände erzwungene Übernahme, etwa um der Lagerhaft zu entkommen. Darunter fällt aber auch die einseitig auferlegte Arbeitspflicht, sei es durch förmliche Anordnung, sei es auch durch tatsächlichen Zwang. Denn der Begriff der Arbeitsleistung sieht nicht in den Formen der Belastung das entscheidende Merkmal, sondern allein in der Sache der Arbeitsleistung. Das Gesetz spricht deshalb in der Mehrzahl, weil es alle denkbaren Formen der Arbeitspflicht umfassen will. Deshalb hat die Rechtsprechung im Häftlingshilferecht und in dem dieselbe Regelung enthaltenden Kriegsgefangenenentschädigungsrecht bisher unter Arbeitsverpflichtung auch und sogar vor allem die einseitig abverlangte Zwangsarbeit verstanden. Daran ist festzuhalten.“ (BVerwGE vom 03.08.1977 – VIII C 15.77 [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 18 S. 28]; Unterstreichung nur hier). Arbeitsverpflichtung i.S.v. § 1 Abs. 6 HHG ist danach „jedenfalls solche Arbeitsleistung, die wirtschaftlichen oder präventiven Zwecken dient. Darunter fallen Instandsetzung und Wiedergutmachung ebenso wie Umerziehung und Bewährung, und zwar mit allen Folgen, die sie im Einzelfall für Leben und Gesundheit des Betroffenen haben. Denn, wie unten dargelegt, folgt der Begriff dem geschichtlichen Erscheinungsbild der Arbeitspflicht, die der deutschen Bevölkerung in den Gewahrsamsgebieten nach der Besetzung auferlegt wurde.“ (BVerwG aaO).


Der Gewahrsamsgrund „Arbeitsverpflichtungen“ stellt „nicht den Gewahrsam als solchen in Frage, sondern den politischen Grund des Gewahrsams. Sie bedeutet, daß der Gewahrsamsgrund „Arbeitsverpflichtungen“ kraft der Fiktion des § 1 Abs. 6 HHG nicht politisch im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG ist. Ein durch Arbeit motivierter Gewahrsam ist kein politischer Gewahrsam“ (BVerwG aaO S. 29).


Die in § 1 Abs. 6 HHG genannten Gewahrsamgründe werden deshalb nicht als politisch bewertet, „weil sie geschichtlich das allgemeine Schicksal der deutschen Bevölkerung in den Gewahrsamsgebieten umschreiben. Nicht die Frage, ob rechtsstaatlich oder nicht rechtsstaatlich ist an die Regelung in § 1 Abs. 6 HHG zu stellen, sondern die Frage, ob es sich um das allgemeine Schicksal der deutschen Bevölkerung handelt oder das besondere Schicksal eines politischen Gewahrsams, für das allein das HHG Hilfe leistet. Zwangsarbeit, jedenfalls mit der oben dargelegten Zielrichtung, war am Ende des zweiten Weltkrieges das allgemeine Schicksal der deutschen Bevölkerung in den Gewahrsamsgebieten. Die Deutschen wurden dort allgemein zur Zwangsarbeit eingesetzt....Arbeitspflicht ist daher angesichts ihrer Allgemeinheit für die deutsche Bevölkerung in den Gewahrsamsgebieten der Auffanggewahrsamsgrund. Wo kein anderer Grund feststellbar ist, muß die Arbeitspflicht Gewahrsamsgrund sein. Löste sie Hilfe nach dem HHG aus, so wäre das Regelschicksal der Deutschen hilfebegründend. Das ist nicht der Zweck des Gesetzes.“ (BVerwG aaO S. 30f; vgl. hierzu ferner Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der PDS „Entschädigungszahlungen an die Verschleppten jenseits von Oder und Neiße“ [Drs. 14/5865], Vorbemerkung).


Der Grund oder das Motiv der Gewahrsambegründung ist dementsprechend im Einzelfall festzustellen unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Auslegung des § 1 Abs. 6 HHG (vgl. vorstehend), wonach dann, wenn „kein anderer Grund feststellbar ist,...die Arbeitsverpflichtung Gewahrsamsgrund sein“ muss.
§ 1 Abs. 6 HHG ist demzufolge nicht anwendbar, wenn jemand aus politischen Gründen im Sinne von § 1 Abs. 1 HHG in Gewahrsam genommen und als politischer Häftling zur Arbeitsleistung herangezogen wurde.


Bei einem Gewahrsam in einem der 11 Speziallager des NKWD in der ehemaligen SBZ dürfte in der Regel davon ausgegangen werden können, dass der Gewahrsam nicht der Durchsetzung von Arbeitsverpflichtungen im vorstehend dargelegten Sinne diente. Indessen bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob ein krimineller oder kriegsgefangenenrechtlicher Hintergrund vorliegt.


f)
Zivildeportierte aus den ehemaligen Reichsgebieten jenseits von Oder und Neiße


Bei Zivildeportierten aus den ehemaligen Reichsgebieten (nach dem Stand vom 31.12.1937) kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Gewahrsamnahme zunächst vordringlich aus sicherheitspolitischen Erwägungen erfolgt und demzufolge – trotz nachfolgender Heranziehung zur Zwangsarbeit – ein politischer Gewahrsam im Sinne von § 1 Abs. 1 HHG nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu auch die Antwort des Parl. Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf Körper, vom 17.04.2002 auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Koschyk, Plenarprotokoll 14/229, S. 22717f [Abdruck s. Anlage 5 ]).


g)
Verschleppung innerhalb der ehemaligen UdSSR


Volksdeutsche, die bei Ausbruch des Krieges zwischen dem Deutschen Reich und der ehemaligen UdSSR innerhalb der UdSSR verschleppt wurden, fielen unter den Anwendungsbereich des aufgehobenen KgfEG bzw. fallen unter den Anwendungsbereich des HKStG.


h)
Einzelne volksdeutsche Gruppen


aa)
Russlanddeutsche
Russlanddeutsche, die in das Deutsche Reich umgesiedelt, evakuiert oder geflohen waren und nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch die oder auf Veranlassung der sowjetische(n) Besatzungsmacht gegen ihren Willen in die ehemalige UdSSR verschleppt wurden, „um sie dort als >Feinde< zur Rechenschaft zu ziehen“, sind aus politischen Gründen in Gewahrsam genommen worden (BVerwGE vom 03.09.1980 – 8 C 8.78 [=BVerwGE 60,343; Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 24 (dort Zitat S. 67)]). Diesen Gewahrsam hatten sie „nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertreten“ (vgl. aaO). Dabei ist die Zeit des Gewahrsams bis zur Jahreswende 1955/56 (in Einzelfällen noch bis April 1956) echter Gewahrsam. Die Zeit bis zur Aussiedlung bzw. bis zur Aufgabe des Rückkehrwillens, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 1989, zählt als Anschlussgewahrsam (vgl. vorstehend 4.). Letzteres ist von Bedeutung vor allem für die Kinder dieser Verschleppten: Nach der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. aaO) werden die im Anschlussgewahrsam der Eltern geborenen Kinder in politischem Gewahrsam im Sinne des HHG geboren und sind demzufolge aus eigenem Recht anspruchsberechtigt (soweit dies nicht durch § 1 Abs. 7 1. HS HHG ausgeschlossen wird).


Unterstützungsleistungen nach § 18 Satz 1 HHG an Russlanddeutsche sind nicht wegen § 9 Abs. 2 BVFG ausgeschlossen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum KbfG [Drs. 12/3212], S. 32f).


bb)
Volksdeutsche aus der Karpatho-Ukraine
Das BVerwG ging zunächst davon aus, „daß Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht in ihrer Besatzungszone grundsätzlich nicht politisch i.S.d. HHG sind. Sie können es dann sein, wenn sie Interessen dienen, die in der Besatzungszone wurzeln und daher gebietsgebunden sind..Jedenfalls sind Besatzungsmaßnahmen dann nicht politisch i.S. des HHG, wenn diese Maßnahmen allein dem eigenen, gebietsfremden Heimatinteresse der sowjetischen Besatzungsmacht dienen. In diesem Falle können sie nur im Gebiet der Sowjetunion politische Maßnahmen i.S. des HHG sein, nicht aber im Gebiet der Besatzungszone.... Ihre (scil. der Kläger) Festhaltung im Gebiet der heutigen DDR beruht allein darauf, daß die sowjetische Besatzungsmacht die von ihr als ihre Staatsangehörigen in Anspruch genommenen Personen in ihre Gewalt bringen und an ihnen in ihrem Heimatgebiet, der Sowjetunion, soweit sie Deutsche waren, ebenso die Kriegsfolgen vergelten und das Paktieren mit dem Feind ahnden wollte, wie an den anderen Deutschen in der Sowjetunion“ (BVerwGE vom 22.06.1977 – VIII C 4.76 – [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 17 S. 21]). Hieran ändert sich auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Gewahrsams jedenfalls dann nichts, wenn die Absicht der Vergeltung zwar als Fernziel bereits bei der Begründung des Gewahrsams zum Zweck des Rücktransports in die ehemalige UdSSR bestand, jedoch „die Heimschaffung der in sich abgeschlossene Teil des Zuführens (ist), um später Vergeltung üben zu können. Der Gewahrsam ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt kein politischer Gewahrsam“ (aaO S. 23). Politischer Gewahrsam (nach § 1 Abs. 5 Satz 1 HHG) lag danach in diesen Fällen erst nach (erneuter) Festnahme in der UdSSR, Transport in das Arbeitslager in Sibirien und dortigem Aufenthalt unter Bewachung vor (aaO). Der weitere Aufenthalt in der UdSSR bis zur Aussiedlung bzw. bis zur Aufgabe des Rückkehrwillens kam dann als Anschlussgewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 2 HHG in Betracht.


Nach der Entscheidung des BVerwG vom 03.09.1980 (8 C 8.78 [vgl. vorstehend Russlanddeutsche]), in welcher die Einschränkung des Begriffs des Politischen i.S.d. HHG dahingehend, dass er in den Verhältnissen wurzeln müsse, „die dem Gebiet eigen sind, in dem der Gewahrsam verhängt wurde“ (aaO S. 65), aufgegeben wurde und es statt dessen nur noch darauf ankommen soll, „daß der in einem Gewahrsamsgebiet verhängte Gewahrsam einem als Gewahrsamgebiet benannten Staat zuzurechnen ist“ (aaO), dürften auch für die Verschleppung von Volksdeutschen aus der Karpatho-Ukraine dieselben Maßstäbe gelten wie bei der Verschleppung von Russlanddeutschen: Danach ist nicht entscheidend, dass ein Gewahrsam von der sowjetischen Besatzungsmacht zur Durchsetzung von Interessen in der ehemaligen Sowjetunion verhängt wurde (BverwGE aaO S. 66). Ein politischer Gewahrsam ist demnach vielmehr dann anzunehmen, wenn die Verschleppung mit der Absicht erfolgte, die Betroffenen als Deutsche in der Sowjetunion zur Rechenschaft zu ziehen (BVerwGE aaO S. 66f).


cc)
Verschleppung von Rumäniendeutschen aus Rumänien in die UdSSR
Fast die gesamte erwerbsfähige deutsche Bevölkerung Rumäniens wurde bei Kriegsende in die ehemalige UdSSR verschleppt. Aufgrund des frühen Zeitpunkts der Verschleppung - Januar 1945 - wurde diese Verschleppung im allgemeinen dem KgfEG zugeordnet.


Tatsächlich handelte es sich hierbei um von der ehemaligen UdSSR veranlasste Deportationen, die aufgrund entsprechender sowjetischer Vorgaben Anfang des Jahres 1945 einsetzten und vor allem der Ableistung von Zwangsarbeit in der ehemaligen UdSSR zu Reparationszwecken dienten. Diese von rumänischer und westalliierter Seite unter Hinweis auf Bestimmungen des rumänisch-sowjetischen Waffenstillstandsvertrages vom 12.09.1944 kritisierten Deportationen wurden, um dieser Kritik zu begegnen, in rechtfertigender Absicht von der ehemaligen UdSSR zusätzlich mit Vergeltungs-Gesichtspunkten und sicherheitspolitischen Motiven begründet. Letzteres ändert an ihrem Charakter als Reparationsdeportationen nichts (vgl. hierzu Weber/Weber-Schlenther/Nassehi/Sill/Kneer, Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945 bis 1949, Band I, 1995, insbesondere S. 127ff). Im Bereich des HHG kann daher generell von der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 ausgegangen werden.


dd)
Rückführung von Rumäniendeutschen
Die zwangsweise Rückführung von Rumäniendeutschen aus den von sowjetischen Truppen besetzten Gebieten beruhte im allgemeinen auf dem Bestreben der Besatzungsmacht, die Versorgungs- und Verwaltungsprobleme in den besetzten Gebieten dadurch zu vermindern, dass „displaced persons“ in ihre Herkunftsländer zurückgeführt wurden, sowie dem Wunsch, Bevölkerungsverluste in den Herkunftsländern auszugleichen. Für deren Repatriierung nach Rumänien war daher nicht die deutsche Volkszugehörigkeit, sondern die rumänische Staatsangehörigkeit und der frühere Wohnsitz in Rumänien maßgebend. Auch fehlte der für die Verschleppung der Russlanddeutschen charakteristische Vergeltungsgedanke.


Die Rückführung der Rumäniendeutschen insbesondere aus dem Gebiet der früheren sowjetischen Besatzungszone, aus der damaligen Tschechoslowakei sowie aus Österreich nach Rumänien ist daher keine politische Maßnahme i.S.d. HHG (vgl. auch BVerwGE vom 20. 01. 1987 - 9 C 12.86 [=Buchholz 412.2 § 1 HkG Nr. 11]).


ee)
Verschleppung Rumäniendeutscher in die Baragan-Steppe
Die Verschleppung von Volksdeutschen innerhalb Rumäniens in die Baragan-Steppe erfolgte 1951 (vgl. zu den Gründen Bd. III der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Nachdruck dtv 1984, S. 110fE). Deportiert wurden nicht nur Volksdeutsche. Die Genehmigung zur Rückkehr wurde ab Ende 1955 erteilt. In der im Innern Rumäniens gelegenen Baragan-Steppe konnten sich die Verschleppten innerhalb eines bestimmten Umkreises frei bewegen.


Die Verwaltungspraxis hat gleichwohl den Aufenthalt in der Baragan-Steppe als politischen Gewahrsam i.S.d. HHG gewertet, der mit der Möglichkeit der Rückkehr in die frühere Heimat endete. (Die Zeit bis zur Aussiedlung kommt schon deshalb nicht als Anschlussgewahrsam nicht in Betracht, weil die Betroffenen innerhalb desselben Staatsgebietes verschleppt wurden.)


ff)
Jugoslawiendeutsche
„Jugoslawien holte Volksdeutsche, die sich außer Landes befanden, nicht heim. Versuchten solche Deutschen von sich aus nach Jugoslawien heimzukehren, so wurden sie an der Grenze abgewiesen und, falls ihnen der Grenzübertritt gelang, später wieder ausgewiesen“ (BVerwGE vom 28.06.1977 – 8 C 65.77 [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22 S. 56]). Zu dieser faktisch die Anwendbarkeit des HHG einschränkenden Ausgangslage kommt hinzu, dass Arbeitsverpflichtungen nach dem HHG nicht berücksichtigt werden (vgl. vorstehend e)).


gg)
Memeldeutsche
Auf Memeldeutsche, die auf der Flucht vor der näherrückenden Front von sowjetischen Truppen überrollt und zwangsweise in ihre Heimat zurückgebracht wurden, ist das HHG im allgemeinen nicht anzuwenden. Vielmehr handelt es sich regelmäßig um echte Repatriierungsfälle, in denen Grund für die Gewahrsamnahme war, dass die Betroffenen „von den Siegermächten als Staatsangehörige ihrer Länder in Anspruch“ genommen wurden (BVerwGE vom 08.07.1970 – VIII C 64.79 [= Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 9 S. 8; bestätigt durch BVerwGE vom 28.06.1978 – 8 C 65.77 – [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 22 S. 56f]: Die Repatriierung wurzele jedenfalls dann nicht in ideologisch geprägten Vorstellungen [des Marxismus-Leninismus], wenn sie vorrangig als gebräuchliches Mittel zur Bekämpfung des Nachkriegschaos eingesetzt worden sei).


Dies kann auch auf diejenigen Deutschen zutreffen, denen es nicht mehr gelang, das Memelland vor der näherrückenden Front zu verlassen, sowie auf Personen, die auf ihrer Flucht oder im Zuge ihrer Evakuierung bereits reichsdeutsches Gebiet in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 erreicht hatten und dort in sowjetische Gewalt gerieten.




6.
Ausschließungsgründe


Leistungen nach dem HHG dürfen gemäß § 2 Abs. 1 HHG nicht gewährt werden, wenn einer der dort genannten Ausschließungsgründe vorliegt. Die dort enumerierten Ausschließungsgründe knüpfen an vergleichbare Regelungen in anderen Gesetzen (u.a. BVFG, KgfEG) an (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des HHG [BT-Drs. II/1450], Anlage I S. 8). Dementsprechend ist auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung des § 2 Abs. 1 HHG stets die Rechtsprechung zur Auslegung des § 3 Abs. 2 BVFG herangezogen worden.


Danach setzt ein erhebliches Vorschubleisten i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG voraus, „daß der Betroffene mit seinem Handeln bewußt und mit einer gewissen Stetigkeit das Ziel verfolgt hat, einer Festigung des in der sowjetischen Besatzungszone bestehenden politischen Systems nachhaltig zu dienen. Nur eine solche Gesetzesauslegung wird dem Tatbestandsmerkmal des ‚Vorschubleistens‘ gerecht, das schon seinem Wortsinne nach zu verstehen ist als ein planmäßiges und auch erfolgreiches Handeln zugunsten einer schlechten Sache. Da zudem im Rahmen des Gesetzes nur ein ‚erhebliches‘ Vorschubleisten in Betracht kommt, muß der Nutzen, den das Sowjetregime aus ihm gezogen hat, nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein“ (BVerwGE vom 22.05.1969 – VIII C 80.65 -[=Buchholz 412.6 § 2 HHG Nr. 2]; es handelt sich um ein Zitat aus einem zu § 3 Abs. 2 BVFG ergangenen früheren Urteil des erkennenden Senats). Hat jemand freiwillig ein Amt oder eine bestimmte Tätigkeit für das politische System i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG übernommen, das oder die dazu bestimmt und geeignet war, in nicht unerheblicher Weise dessen Herrschaftsanspruch zu festigen, auszudehnen oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, ist das Tatbestandsmerkmal des Vorschubleistens erfüllt (BVerwG aaO S. 2; vgl. ferner zum Fall langjähriger Spitzestätigkeit für das MfS OVG Berlin vom 15.02.1992 – OVG 7 B 10.90). In der Vorschrift kommt eine Begrenzung der sich im HHG manifestierenden Hilfsbereitschaft für die Opfer der politischen Unterdrückung zum Ausdruck: Sie soll nicht denjenigen zu Gute kommen, die an dieser Unterdrückung maßgeblich mitgewirkt haben, bevor sie selbst Opfer des Systems geworden sind (BVerwG aaO). Sie ist also nicht anwendbar auf diejenigen, die lediglich in Ausübung eines herkömmlichen Berufs, der Lebens- oder Existenzgrundlage darstellte, mittelbar das jeweilige System unterstützt haben (BVerwGE vom 01.12.1966 – 8 C 27.65 [=Buchholz 412.3 § 3 BVFG Nr. 45]).


Die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit bestehen in jenen unabdingbaren Rechten, die jedem Staat und jeder Rechtsordnung vorgegeben sind mit dem Ziel, eine materiell gerechte Ordnung zu schaffen oder zu erhalten (BVerwGE vom 16.01.1964 – 8 C 60.62 –[=Buchholz 412.3 § 3 BVFG Nr. 32]). Zu ihnen gehören die natürlichen (Menschen-)Rechte des Einzelnen, u.a. das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Sicherheit, gerichtliches Gehör, Gedanken-, Gewissen- und Religionsfreiheit, Meinungsäußerungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit (BVerwGE vom 23.09.1962 – V C 488.56 -) sowie schließlich die Achtung der Menschenwürde (BVerwG vom 16.01.1964 aaO). Ein Verstoß gegen diese Grundsätze setzt Kenntnis und Billigung aller Tatumstände sowie das Bewusstsein voraus, durch sein Verhalten gegen anerkannte Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen (BVerwG aaO). Ein derartiger Verstoß ist auch bei der Anwendung von Gesetzen möglich, wenn diese so sehr auf Willkür beruhen oder in so hohem Maße diesen Grundsätzen – insbesondere der Gerechtigkeit – widersprechen, dass ihnen die Gefolgschaft verweigert werden müsste (BVerwGE vom 20.01.1966 – 8 C 373.63 [=ROW 1966,218]; vgl. ferner BVerwGE vom 16.01.1964 aaO S. 99: „Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Verhalten durch die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geltenden Gesetze oder durch solche obrigkeitliche Anordnungen oder Befehle, denen nach nationalsozialistischer Ideologie Gesetzesrang zuerkannt wurde, formal erlaubt oder von der Strafverfolgung ausgeschlossen war. Für die rechtliche Beurteilung des Ausschlusstatbestandes kommt es nicht auf die formale Gesetzmäßigkeit, sondern auf den materiellen Unrechtscharakter des Verhaltens nach den Maßstäben rechtsstaatlicher Grundsätze an“).


(Liegt kein bewusster Verstoß gegen diese Grundsätze vor, kann der politische Gewahrsam indessen zu vertreten sein [vgl. vorstehend 3. a.E.].)
[Zum praktischen Verwaltungsverfahren: Wegen einer in diesem Zusammenhang ggf. relevanten Tätigkeit als IM des ehemaligen MfS sollte eine Anfrage beim BStU {vgl. Anlage 3 , Nr. 6} in Betracht gezogen werden.]


Nach § 2 Abs. 2 HHG kann die Gewährung von Leistungen unter den dort normierten Voraussetzungen abgelehnt oder eingestellt werden. Eine Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist in solchem Verhalten zu sehen, das dazu geeignet und bestimmt war, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Inbegriff der vom Grundgesetz garantierten obersten Werte der Verfassung zu gefährden (BVerwGE vom 01.12.1966 – 8 C 27.65 -). Mit dem Ausdruck freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG) meint das Grundgesetz in der Interpretation des BVerfG eine jegliche Gewalt und Willkürherrschaft ausschließende „rechtsstaatl. Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit“, zu deren „grundlegenden Prinzipien mindestens zu rechnen“ sind: „die Achtung vor den im GG konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle polit. Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ (BVerfGE 2,12f;5,140).


Ob zur Feststellung eines Ausschließungsgrundes eine Anfrage bei einer anderen Behörde oder Einrichtung (vgl. auch Anlage 3 ) veranlasst ist, entscheidet die zuständige Behörde nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Grundsätze des unverschuldeten Beweisnotstandes (vgl. nachfolgend 9.).


7.
Härteregelung


Nach § 12 HHG kann die zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern zur Vermeidung unbilliger Härten in Einzelfällen Maßnahmen nach diesem Gesetz ganz oder teilweise zulassen.


§ 12 HHG ist auch auf die Leistungen der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge anzuwenden. In diesem Falle hat der Vorstand der Stiftung das nach § 12 HHG erforderliche Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern herzustellen (§ 17 Satz 3 HHG).


Zugelassen werden können im Wege des Härteausgleichs nur die Leistungen, die im Häftlingshilfegesetz vorgesehen sind. Es ist nicht zulässig, im Härtewege eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Satz 1 HHG auszustellen oder eine Feststellung i.S.v. § 10 Abs. 4 Satz 2 HHG zu treffen.


8.
Bescheinigung/Feststellung nach § 10 Abs. 4 HHG


Die Bescheinigung/Feststellung hat die gleiche Funktionen wie der Vertriebenenausweis bzw. die Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. § 10 Abs. 7 HHG erklärt deshalb § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BVFG für entsprechend anwendbar. Eine Behörde, die aufgrund der Bescheinigung/Feststellung Leistungen zu gewähren hat oder kann, ist an die Bescheinigung/Feststellung gebunden. Teilt sie die deren Erteilung zu Grunde liegende rechtliche Würdigung nicht, kommt nur der Antrag auf Änderung oder Einziehung der Bescheinigung/Feststellung durch die Ausstellungs- bzw. Feststellungsbehörde in Betracht. Entspricht diese dem Antrag nicht, entscheidet die zuständige oberste Landesbehörde oder die von dieser bestimmte Behörde. (Im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens über die Entscheidung der Leistungsbehörde wäre inzidenter mittels Beiladung der Bescheinigungs- bzw. Feststellungsbehörde gemäß §§ 63 Nr. 3, 65 Abs. 2 VwGO über die Entscheidung nach § 10 Abs. 4 HHG zu entscheiden.)


§ 10 Abs. 5 HHG ist zu beachten bei Anträgen mehrerer Erben.


9.
Verfahren


Ist das Verfahren durch den Antrag einer Leistungsbehörde gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 HHG eingeleitet worden, gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG]), d.h. die für die Ausstellung der Bescheinigung oder Feststellung nach § 10 Abs. 4 HHG zuständige Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen (zu den in Frage kommenden Beweismitteln siehe § 26 Abs. 1 VwVfG).


Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung „gibt es auch im Verwaltungsstreitverfahren eine – materielle – Beweislast des Inhalts, daß ein Beteiligter die Folgen der Ungewißheit einer anspruchsbegründenden Tatsache gegen sich gelten lassen muß, wenn sie das Gericht trotz erschöpfender Ermittlungen von Amts wegen nicht zu beseitigen vermag“ (BVerwGE vom 03.08.1988 – 9 B 257.88 [=Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 28 S. 1]). Diese auf das gerichtliche Verfahren bezogene Feststellung gilt sinngemäß auch für das Verwaltungsverfahren (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 8. A. 2003, § 24, Rnr. 39).


Wegen Fehlens entsprechender spezialgesetzlicher Ausnahmen im HHG gilt für seine Anwendung, dass eine anspruchsbegründende Tatsache nur festgestellt werden darf, „wenn die entscheidende Stelle die Überzeugung gewonnen hat, daß sie vorliegt“ (BVerwG aaO S. 2).


In diesem Zusammenhang sind für das Häftlingshilferecht die Grundsätze zu berücksichtigen, die höchstrichterlich für den unverschuldeten Beweisnotstand im Vertriebenen- und Asylrecht entwickelt worden sind (BVerwG aaO). Danach können in dem Fall des unverschuldeten Beweisnotstands „in großem Umfang“ auch Tatsachen festgestellt werden, die nur von dem Antragsteller vorgetragen worden sind (BVerwG aaO S. 1). Allerdings muss der Vortrag schlüssig und glaubhaft sein (BVerwG aaO S. 2; vgl. ferner BVerwGE vom 20.01.1987 – 9 C 90/86 – [=Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 49], zum Vertriebenenrecht, und vom 16.04.1985 [=BVerwGE 71, 180], zum Asylverfahrensrecht; siehe ferner z.B. Kopp/Ramsauer aaO, Rnr. 34).


10.
Anwendung im Beitrittsgebiet


Nach § 26 Abs. 1 HHG findet das Gesetz Anwendung auf Personen, die vor dem 03. Oktober 1990 und nach dem 31. Dezember 1992 im Beitrittsgebiet ständigen Aufenthalt begründet haben.




II.
Statuswechsel Kriegsgefangener/politischer Häftling


HHG und KgfEG können nicht gleichzeitig auf denselben Sachverhalt (Gewahrsam) angewandt werden, d.h. wer als ehemaliger Kriegsgefangener oder Geltungskriegsgefangener anerkannt worden ist, kann nicht gleichzeitig wegen desselben Gewahrsams auch als politischer Häftling anerkannt werden (vgl. BVerwGE vom 09.09.1959 – VIII C 369.59 [=ROW 1960, S. 203]). (Von einem einheitlichen Sachverhalt bzw. demselben Gewahrsam kann beispielsweise in den Fällen nicht ausgegangen werden, in denen ehemalige Kriegsgefangene nach förmlicher Entlassung aus westalliiertem Gewahrsam auf dem Weg in die SBZ von der sowjetischen Besatzungsmacht festgenommen und anschließend (häufig) in die ehemalige UdSSR verschleppt wurden. Durch die Festnahme in der SBZ wurde in diesen Fällen ein neuer Gewahrsam begründet, der ggf. (nur) unter § 1 HHG subsumiert werden kann.)


Die Regelung in § 25 Abs. 2 StrRehaG hat – auf dem Hintergrund der großzügigeren Entschädigungsregelungen des StrRehaG - in der Verwaltungspraxis zu einer Überprüfung der Zuordnung von Antragstellern zum KgfEG insbesondere in den Fällen geführt, in denen Betroffene wegen Werwolf-Verdachts oder willkürlich festgenommen wurden. Diese Fälle sind in der früheren Verwaltungspraxis auf Grund eines Schreibens des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte vom 20. September 1956 – III7c – 3401/Tgb. 6510/56 - dem KgfEG zugeordnet worden. Mit Rundschreiben vom 10. März und 13. September 1993 des Bundesministeriums des Innern (vgl. vorstehend 5. c)) ist indessen erklärt worden, dass in diesen Fällen einer Neubewertung des Sachverhalts im Sinne einer Zuordnung der Betroffenen zum HHG nichts entgegensteht, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls dies ausschließen.


Die Zuordnung zum HHG setzt voraus, dass zunächst der Bescheid über die Anerkennung als ehemaliger Kriegsgefangener oder Geltungskriegsgefangener aufgehoben wird.


Unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG hat ein Antragsteller, der eine derartige Umstellung geltend macht, Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 15.10.1997 – 7 B 76/96 [=VIZ 1999, S. 59ff]). Ein solcher Antrag auf Statusumstellung kann in dem Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung oder der Feststellung nach § 10 Abs. 4 HHG gesehen werden, wenn schlüssig dargelegt wird, auf welchen Wiederaufgreifensgrund dieser Antrag gestützt wird (vgl. auch OVG Berlin aaO). Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2, 3 VwVfG sind in diesem Zusammenhang zu beachten. Ferner muss die Neubescheidung zu einem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis führen. Dies wird i.a. zu verneinen sein, wenn die „Zuordnung“ zum HHG lediglich dazu führen würde, dass an Stelle der Möglichkeit, einen Antrag auf Unterstützungsleistungen nach § 3 Abs. 1 HKStG stellen zu können, die Möglichkeit tritt, einen Unterstützungsantrag nach § 18 Satz 1 HHG zu stellen, vielmehr sind beide Möglichkeiten der Leistungsbeantragung als rechtlich gleichwertig zu betrachten. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass mit der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG noch nicht die Frage beantwortet ist, ob die Voraussetzungen für Leistungen nach dem StrRehaG erfüllt werden (vgl. hierzu nachfolgend III.).


Für die Anwendung des § 10 Abs. 4 HHG ist es in diesem Zusammenhang unschädlich, wenn dieselbe Behörde, die nach § 10 Abs. 4 HHG zuständig ist, gleichzeitig für die Leistungsgewährung nach dem StrRehaG zuständig ist (hierauf war bereits mit Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 17. Januar 1995 – VtI1 – 906 140/7 – an die obersten, für das HHG zuständigen Landesbehörden hingewiesen worden).




III.
Regelung des § 25 Abs. 2 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz
(StrRehaG)


Kapitalentschädigung und Unterstützungsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz werden – unter bestimmten Voraussetzungen - auch Personen gewährt, die eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG (im folgenden: 10/4-Bescheinigung) erhalten haben.


1.
Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht, die „im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet dort ohne Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder ohne eine der in § 1 Abs. 5 StrRehaG genannten strafrechtlichen Maßnahmen in Gewahrsam genommen oder in Gewahrsam gehalten wurden“ (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG), können aus völkerrechtlichen Gründen nicht durch ein deutsches Gericht rehabilitiert werden. Leistungen (Kapitalentschädigung und Unterstützungsleistungen) erhalten diese Betroffenen unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen jedoch auf Grund einer 10/4-Bescheinigung.


Wer als Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht bislang noch keine 10/4-Bescheinigung hat, kann diese seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr selbst beantragen. Für den Betroffenen, der sich z.B. an die Behörde gewandt hat, die für die Gewährung der Leistungen nach dem StrRehaG zuständig ist (das kann auch die HHG-Behörde sein [§ 25 Abs. 2 Satz 2 StrRehaG]), beantragt diese Behörde bei der HHG-Behörde (ggfs. also bei sich selbst) die Erteilung einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG.


Opfer der sowjetischen Besatzungsmacht können gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG Leistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nur dann erhalten, wenn sie im Betrittsgebiet in Gewahrsam genommen oder in Gewahrsam gehalten wurden. Erfolgte die Gewahrsamsnahme im Beitrittsgebiet, so werden auch Leistungen für die außerhalb des Beitrittsgebietes verbrachten Zeiten der Freiheitsentziehung gewährt. (Nicht erfasst von dieser Regelung sind Personen, die aus Gebieten östlich von Oder und Neiße nach der Besetzung durch sowjetische Truppen in die Sowjetunion verschleppt wurden und keine Gewahrsamszeiten im Beitrittsgebiet verbracht haben.)


Erforderlich für Leistungen nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StrRehaG ist weiterhin, dass der Gewahrsam aus politischen Gründen verhängt worden ist, d.h. die Gewahrsamsnahme muss der Errichtung oder Aufrechterhaltung kommunistischer Machtstrukturen im Beitrittsgebiet gedient haben. Dies dürfte immer dann der Fall sein, wenn die Gewahrsamsnahme aus Gründen erfolgte, die mit der besonderen innenpolitischen Entwicklung im Beitrittsgebiet im Zusammenhang standen. Andere Gewahrsamsgründe, die etwa auf die Folgen des verlorenen Krieges zurückzuführen sind, fallen nicht unter diese Vorschrift. (Bruns/Schröder/ Tappert, Kommentar zum Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, 1993, C. S. Müller Juristischer Verlag GmbH , Heidelberg, Kommentierung zu § 25 Rn. 20 bis 37). So sind z.B. Maßnahmen, die den Sicherheitsinteressen der Besatzungsmacht gedient haben, nicht einbezogen.


2.
Betroffene, deren Gewahrsam auf einer Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder auf einer der in § 1 Abs. 5 StrRehaG genannten strafrechtlichen Maßnahmen beruht, müssen demgegenüber heute stets von den HHG - Behörden auf die (gerichtliche) strafrechtliche Rehabilitierung verwiesen werden, wenn sie die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht vor dem Inkrafttreten des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (4. November 1992) beantragt haben (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StrRehaG).


Sie erhalten Kapitalentschädigung ausschließlich auf der Grundlage einer (gerichtlichen) Rehabilitierungsentscheidung bei den für das Betragsverfahren nach Rehabilitierung zuständigen Behörden in den neuen Ländern und Berlin.


Berechtigte, die von einem deutschen Gericht in der SBZ oder von einem DDR-Gericht verurteilt wurden und bereits im Besitz einer (vor dem 4. November 1992 beantragten) 10/4-Bescheinigung sind, können ausschließlich bei der HHG - Behörde Kapitalentschädigung bzw. Nachzahlung beantragen.


3.
Macht der Inhaber einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG Ansprüche nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StrRehaG geltend, sind im Rahmen dieses Verfahrens die Ausschlussgründe des § 16 Abs. 2 StrRehaG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu prüfen (vgl. BVerwGE vom 24.10.2002 – 3 C 7.02). Diese Rechtsprechung hindert allerdings die zuständige Behörde nicht an der Prüfung der Rücknahme der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG, sofern nachträglich Ausschlussgründe gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 HHG bekannt werden (§ 48 VwVfG), z.B. durch Zugang zu Beweismitteln nach dem StUG. Dabei wird unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu prüfen sein, ob unter dem Gesichtspunk zu gewährenden Vertrauensschutzes lediglich eine Rücknahme für die Zukunft (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG) oder für die Vergangenheit (§ 48 Abs. 2 Satz 3f VwVfG) in Betracht kommt. Hierbei sind auch die jeweiligen Prozessrisiken zu berücksichtigen.





Anlagen (nichtamtliches Verzeichnis)

Anlage 1: BMI-Rundschreiben vom 10. März und vom 13. September 1993 - VtI1 - 906 110/3 -

Anlage 2: Anlage zum Vordruck für Anträge gemäß § 18 Satz 1 HHG

Anlage 3: Anschriftenliste

Anlage 4: NKWD/MWD-Sonder- oder Speziallager sowie kartographisches Material

Anlage 5: Antwort des PSt Körper vom 17.04.2002, Plenarprotokoll 14/229, S. 22717f