Logo jurisLogo Bundesregierung

BMI-O1-19891220-KF-A001.htm

Zum Hauptdokument : Beschluß der Bundesregierung vom 20. Dezember 1989 über Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtssetzung und von Verwaltungsvorschriften



Anlage



Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung
und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes
(VwVR)



vom 20. Dezember 1989



§ 1
Gegenstand und Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie beschreibt Mindestanforderungen an Vorschriften des Bundes, die mit verwaltungsinterner Bindungswirkung generelle und abstrakte Regelungen erhalten (Verwaltungsvorschriften des Bundes). Sie richtet sich an alle Stellen des Bundes, die Verwaltungsvorschriften herausgeben.



(2) Die Vorschriften der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in der jeweils geltenden Fassung bleiben unberührt.



Erläuterung:

Die Form- und Verfahrensvorschriften der GGO I gelten auch für die Vorbereitung und Herausgabe von Verwaltungsvorschriften. Die GGO II enthält lediglich Bestimmungen für „Allgemeine Verwaltungsvorschriften“. Sie beschränken sich im wesentlichen auf die formale Gestaltung und das Verfahren bei der Vorbereitung der Entwürfe. Weitergehende Anforderungen an „Allgemeine Verwaltungsvorschriften“ fehlen. Für alle sonstigen Verwaltungsvorschriften gibt es - von Ausnahmen in einzelnen Ministerien abgesehen - keine Mindestanforderungen.



§ 2
Notwendigkeitsprüfung

(1) Vor Erlaß einer Verwaltungsvorschrift des Bundes ist zu prüfen, ob sie als Gesamtvorhaben und in ihren Einzelregelungen notwendig ist. Bei der Prüfung sind die Blauen Prüffragen *) heranzuziehen, soweit sie auf die Verwaltungsvorschriften des Bundes übertragen werden können.



(2) Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, dass die Notwendigkeitsprüfung vorgenommen wird.



Erläuterung:

Auch bei Verwaltungsvorschriften muß sorgfältig geprüft werden, ob sie notwendig sind, um die Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des Vollzugs zu gewährleisten. Dabei legt die Bundesregierung besonderen Wert darauf, die Verantwortung der Stellen zu stärken, die die Entscheidungen im Einzelfall zu treffen haben. Ausbildung und Erfahrung der Beschäftigten reichen oft aus, um bei der Anwendung von Gesetzen und Verordnungen auch ohne weitere verbindliche Vorgaben sachgerechte und bürgernahe Entscheidungen zu treffen. Wird eine generalisierende Steuerung des Verwaltungshandelns von der höheren Stelle für erforderlich gehalten, sollte auch geprüft werden, ob das angestrebte Ziel nicht auf andere Weise, z.B. durch Dienstbesprechungen, Erfahrungsaustausch, Einführungs- und Fortbildungsveranstaltungen, Bearbeitungshinweise erreicht werden kann. Es kann durchaus sinnvoll sein, zunächst von Verwaltungsvorschriften abzusehen. Die Verantwortung der vorgesetzten Behörde für Rechtmäßigkeit und Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns wird in diesem Falle dadurch wahrgenommen, dass sie sich über die Art und Weise des Vollzugs unterrichtet und erforderlichenfalls durch Rat, Einzelweisung oder auch durch Verwaltungsvorschrift, die dann auf konkreter Erfahrung beruht, eingreift.



Auf der anderen Seite können - auch umfangreiche und detailierte - Verwaltungsvorschriften erforderlich sein, um die Ziele von Gesetzen und Verordnungen überhaupt verwirklichen zu können. So kann es z. B. im Bereich des Umweltschutzes nicht nur aus Gründen der Einheitlichkeit des Vollzuges, sondern auch zur Beschleunigung behördlicher Entscheidungen erforderlich sein, technische Regelwerke mit Festsetzungen von Grenzwerten durch Verwaltungsvorschriften verbindliche zu machen.



Werden Verwaltungsvorschriften von der Stelle herausgegeben, die sie erarbeitet hat, kann eine strenge Notwendigkeitsprüfung z. B. dadurch sichergestellt werden, dass eine ressortinterne Prüf- und Beratungsstelle frühzeitig eingeschaltet wird oder die Notwendigkeit gegenüber einem Vorgesetzten zu begründen ist.



Die Bundesminister ordnen die für ihren Geschäftsbereich geeigneten organisatorischen Maßnahmen in eigener Verantwortung an.



§ 3
Bezeichnung

(1) Für Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen künftig außer der Bezeichnung „Allgemeine Verwaltungsvorschriften“ (§ 63 Abs. 2 GGO II) nur noch die Bezeichnungen „Verwaltungsvorschrift“, Dienstvorschrift“, „Richtlinie“ oder „Geschäftsordnung“ verwendet werden. Die Bezeichnung „Anordnung“ ist nur mit einem Zusatz zulässig. Durch Gesetz oder Rechtsverordnung vorgeschriebene Bezeichnungen für Verwaltungsvorschriften des Bundes bleiben unberührt.



(2) Soweit eine Verwaltungsvorschrift mit Hinweisen, Arbeitshilfen, Erläuterungen, Mitteilungen und ähnlichen Informationen verbunden ist, muß zweifelsfrei erkennbar sein, was Verwaltungsvorschriften und was sonstige Information ist.



Erläuterung:

Schriftliche Informationen können auch dann das Verhalten vorn Mitarbeitern beeinflussen, wenn sie nicht als verbindliche Anordnungen ergehen, Hinweise, Arbeitshilfen, Erläuterungen, Mitteilungen und ähnliche Informationen geben Orientierungen für das Verhalten, schreiben es aber nicht unmittelbar vor. Aus der Sicht derjenigen, die derartige Informationen herausgeben, kommt es häufig allein auf die Orientierungsfunktion der Informationen und nicht so sehr auf deren Bindungswirkung an.

Für Mitarbeiter, die in eine Hierarchie eingebunden sind, wird aber eine Information „von oben“ im Zweifel als bindend angesehen.



Diesen Sachverhalt muß der Herausgeber von Informationen berücksichtigen. Er muß der Herausgeber von Informationen berücksichtigen. Er muß deutlich kennzeichnen, in welchen Fällen den Mitarbeitern ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben werden soll und wann nur Orientierungen gegeben werden, die den Verwaltungsangehörigen Entscheidungsspielräume zur eigenverantwortlichen Ausfüllung belassen.



Die Beschränkung der möglichen Bezeichnung dient der Klarheit.



Die Bezeichnung „Anordnung“ ohne Zusatz ist dem Bundespräsidenten vorbehalten (§ 63 Abs. 3 GGO II).



§ 4
Verständliche Gestaltung

(1) Verwaltungsvorschriften sind verständlich zu gestalten.



(2) Sie müssen leicht erkennen lassen, was sie regeln und wer den Inhalt kennen und danach handeln muß.



(3) Aufbau, Sprache und graphische Gestaltung von ‚Verwaltungsvorschriften sollen sich an den Verständnis-Voraussetzungen und an der Arbeitssituation der Anwender orientieren.



Erläuterung:

Die Kennzeichnung des Inhalts und der Anwender kann in vielen Fällen durch die Überschrift oder einen einführenden Leitsatz geschehen. Eine Abstimmung der Kennzeichnungspraxis mit dem für die Vorschrift geltenden Ordnungssystem (vgl. § 7) ist erforderlich. In jedem Falle muß der Vorschriftenanwender ohne große Mühe erkennen können, in welchem Arbeitszusammenhang die Vorschrift für ihn bedeutsam ist oder sein könnte.



Die Gestaltung wird verschieden sein, je nach dem ob die Verwaltungsvorschrift z. B. die Verwaltung allgemein, Fachleute in der Verwaltung oder daneben das Publikum allgemein oder Fachleute im ansprechen soll.



§ 5
Kennzeichnung des Verhältnisses zu anderen Vorschriften

Verwaltungsvorschriften müssen ihr Verhältnis zu Verwaltungsvorschriften, die den gleichen Gegenstand betreffen, kennzeichnen. Verweisungen müssen als statisch oder dynamisch erkennbar sein.



Erläuterung:

Verwaltungsvorschriften werden häufig aus Anlaß eines besonders wichtigen Einzellfalles erlassen. Damit ist die Gefahr einer isolierten Betrachtungsweise verbunden. Wenn rechtzeitig das Verhältnis zu anderen Vorschriften geklärt wird, kann vermieden werden, dass mehrfach das Gleiche geregelt wird oder zum gleichen Gegenstand mehrer einander widersprechende Vorschriften entstehen. Die Notwendigkeit von Folgeänderungen ist zu klären.



Durch eine Verweisung macht sich der Vorschriftengeber die Vorschrift, auf die er verweist, zu eigen. Er muß deshalb erklären, ob deren Gültigkeit für seinen Geschäftsbereich von seiner eigenen oder Entscheidung dessen abhängt, der die Verwaltungsvorschrift, auf die verwiesen wird, erlassen hat. Dies gilt insbesondere auch für Verwaltungsvorschriften, die nur aus der Verweisung auf anderen Verwaltungsvorschriften bestehen (z.B. Übersendung mit der Bitte um Kenntnisnahme und Beachtung).



§ 6
Bekanntmachung

(1) Verwaltungsvorschriften sind in der Regel in geeigneter Weise bekanntzumachen.



(2) Die Vorschriften über die Behandlung von Verschlusssachen bleiben unberührt.



Erläuterung:

Verwaltungsvorschriften haben grundsätzlich nur verwaltungsinterne Wirkung. Sie richten sich an die Beschäftigten in der Verwaltung, wenden sich aber nicht berechtigend oder verpflichtend an den Bürger selbst. Außenwirkung erhalten sie erst durch ihre Vollziehung im Einzelfall. Zu ihrer Wirksamkeit bedarf es daher keiner Veröffentlichung. Soweit sie hierfür geeignet sind, sind sie jedoch bekanntzumachen, um die Transparenz der Verwaltung zu erhöhen.



Die Art der Bekanntmachung richtet sich nach dem Kreis der Adressaten und der sonst von der Verwaltungsvorschrift Betroffenen. Verwaltungsvorschriften, die ein Verhalten vorschreiben, das Auswirkungen auf Dritte haben kann, sind in der Regel so bekanntzumachen, dass sie allgemein zugänglich sind.



Regeln Verwaltungsvorschriften nur das behördeninterne Verhalten von Mitarbeitern (z.B. Hausanordnungen über Vorlagen an die Leitung des Hauses, die Arbeitszeit, das Erfassen der Vorhaben auf Datenblatt, die Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen), so reicht eine hausinterne Sammlung aus, die den Mitarbeiten zur Verfügung steht und deren Fortschreibung auf den jeweils neuesten Stand über die behördeninternen Informationswege erfolgt.



§ 7
Ordnungssystem

(1) In Aufgabenbereichen, in denen eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften des Bundes herausgegeben wird, sind diese in ein Ordnungssystem einzufügen.



(2) Das Ordnungssystem muß mindestens gewährleisten:

1.
den Überblick über alle geltenden Verwaltungsvorschriften des Bundes in einem Regelungsbereich,
2.
die leichte Auffindbarkeit einzelner Verwaltungsvorschriften des Bundes,
3.
die Zuordnung von Verwaltungsvorschriften des Bundes zu Gesetzen und Verordnungen, soweit dies möglich ist,
4.
die Information über den Stand der Einfügung der geltenden Verwaltungsvorschriften des Bundes in das Ordnungssystem (Gültigkeitsstichtag),
5.
die Information über die Fundstellen von Verwaltungsvorschriften des Bundes, die nach dem Gültigkeitsstichtag herausgegeben werden.


Erläuterung:

Verwaltungsvorschriften können ihre Verhalten steuernde Wirkung nur entfalten, wenn sie am Arbeitsplatz verfügbar sind. Es gibt viele durchaus vorbildliche Vorschriftensammlungen. Soweit es keine gibt, helfen sich die Beschäftigten in der Verwaltung in der Regel durch Handakten, deren Ordnung entweder vom Vorgänger übernommen wurde oder auf eigenen Vorstellungen und Erfahrungen beruht.



Die Vorschriftengeber und die Dienstvorgesetzten können ihre Verantwortung für die Ordnung und Verfügbarkeit des Vorschriftenbestandes nur erfüllen, wenn ein von dem Ordnungssinn der einzelnen Beschäftigten unabhängiges Ordnungssystem besteht.



Diese Richtlinie regelt nicht die äußere Form, in der Verwaltungsvorschriften für den Anwender verfügbar gemacht werden (z.B. gebundene Schriftenreihe, Loseblatt-Sammlung, Datei) sondern stellt nur Forderungen, die bei der Ordnung von Verwaltungsvorschriften zu erfüllen sind.



Die Zuordnung von Verwaltungsvorschriften zu Gesetzen und Verordnungen bedient sich zweckmäßigerweise der Systematik der sachgebietlichen Gliederung der Sammlung des Bundesrechts - BGBl. III.



Die Notwendigkeit einer Information über den jeweiligen Stand der Gültigkeitsfeststellung und die gegenwärtig geltenden Verwaltungsvorschriften ergibt sich aus dem Ziel, die geltenden Verwaltungsvorschriften leicht auffindbar zu machen. Sie erzeugt aber zugleich einen Druck auf die verantwortlichen Stellen, die Überprüfung in angemessener Zeit tatsächlich durchzuführen.



In jedem Falle ist anzugeben, wo die nach dem Gültigkeitsstichtag der Sammlung bzw. des Verzeichnisses erlassenen Verwaltungsvorschriften zu finden ist.



§ 8
Regelmäßige Überprüfung

(1) Verwaltungsvorschriften des Bundes sind regelmäßig auf die Notwendigkeit ihrer Fortgeltung, Anpassung und Verbesserung zu überprüfen.



(2) Ordnungssysteme für Verwaltungsvorschriften des Bundes sind mit Verfahren zu verbinden, die sicherstellen, dass diese Überprüfung stattfindet.



Erläuterung:

Ein Ordnungssystem hat zunächst das Ziel, die geltenden Verwaltungsvorschriften leicht auffindbar zu machen. Es wird darin beeinträchtigt, wenn es nicht mehr geltende, nicht mehr notwendige oder überarbeitungsbedürftige Verwaltungsvorschriften „mitschleppt“. Es ist deshalb auf dem neuesten Stand zu halten. Hierfür gibt es unterschiedliche Verfahrensansätze, z.B.:



- Der gesamte Bestand wird laufend zu bestimmten Stichtagen oder ohne zeitliche Festlegung in angemessenen Abständen auf Notwendigkeit der Fortgeltung, Anpassung oder Verbesserung jeder Einzelregelung überprüft. Die Initiative für die Überprüfung und ihre Kontrolle liegt dabei bei der für den Gesamtbestand verantwortlichen - in der Regel zentralen - Stelle.



- Die Einzelvorschrift enthält eine ausdrückliche Befristung, oder das Ordnungssystem bestimmt ein für alle Verwaltungsvorschriften geltendes Verfalldatum. Die Initiative liegt in diesem Falle bei der für die Einzelvorschrift verantwortlichen Stelle. Für eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer und für die Neuanmeldung einer unter das Verfalldatum fallenden Verwaltungsvorschrift gilt die Begründungspflicht wie für eine neue Verwaltungsvorschrift.



Im Zweifel ist dem zweiten Verfahrensansatz der Vorzug zu geben. Er ist wegen des Begründungszwangs eher geeignet, das Ziel Beschränkung von Verwaltungsvorschriften auf das Notwendige zu erfüllen.



§ 9
Eigene Regelungen der Bundesminister

Die Bundesminister können für ihren Geschäftsbereich eigene Regelungen zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften erlassen, wenn es die besonderen Verhältnisse ihres Geschäftsbereichs erforderlich machen.



Erläuterungen:

Soweit es in einem Ministerium bereits vergleichbare, auf die besonderen Verhältnisse des Geschäftsbereichs zugeschnittene Regelungen gibt - z.B. die „Leitsätze für die Vereinfachung von schriftlichen Anweisungen in der Bundeswehr“ des Bundesministeriums der Verteidigung -, besteht keine Veranlassung, sie durch die Richtlinie der Bundesregierung zu ersetzen.



§ 10
Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am 1. Juli 1990 in Kraft.