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Teilkörperdosimetrie in der Nuklearmedizin

Zurück zur Teilliste Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

Teilkörperdosimetrie in der Nuklearmedizin



Fundstelle: GMBL 2015, S. 437



Bezug:   

Sitzung des Fachausschusses Strahlenschutz – FAS – des Länderausschusses für Atomkernenergie, November 2014, TOP A 07



– RdSchr. d. BMUB v. 4.3.2105 – RS II 3 -15530/6 –





Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts ORAMED (http://www.oramed-fp7.eu), bei dem von deutscher Seite das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beteiligt war, wurden umfangreiche Erhebungsmessungen zur Hautexposition des Personals in der Nuklearmedizin durchgeführt. Die Messungen zeigten, dass diese Berufsgruppe hohen Hautdosen ausgesetzt ist und mindestens ein Fünftel der untersuchten Mitarbeiter den Jahresgrenzwert der Hautdosis von 500 mSv überschreiten. Selbst bei optimaler Trageweise von Teilkörperdosimetern wird die maximale Hautdosis im Durchschnitt um einen Faktor sechs unterschätzt. Insgesamt wurde deutlich, dass das bisherige Verfahren zur Teilkörperdosimetrie in der Nuklearmedizin (siehe Rundschreiben des BMU „Vollzug der Strahlenschutzverordnung; Beta-Dosimetrie an RSO-Arbeitsplätzen“ vom 15. September 2009, AZ: RS II 3 – 15530/6, GMBl 2010, S. 710) neu zu bewerten ist. Diese Einschätzung wurde auch bei einem Fachgespräch im Januar 2012 von Vertretern der Messstellen, Fachverbänden, der Strahlenschutzkommission und Behördenvertretern geteilt.



In Hinwirkung auf einen bundeseinheitlichen Vollzug erarbeitete das BfS nach Nukliden aufgeschlüsselte Kriterien (siehe Anlage 1), mit denen bestimmt werden kann, ab welchen Umgangsaktivitäten bei nuklearmedizinischen Anwendungen Hautdosen von 150 mSv im Jahr erreicht werden und bei deren Überschreitung die Verpflichtung zur Teilkörperdosimetrie nach § 41 Absatz 3 Satz 4 StrlSchV besteht.



Der Fachausschuss Strahlenschutz des Länderausschusses für Atomkernenergie beriet in seiner Sitzung im November 2014, TOP A 07, über das Verfahren zur Teilkörperdosimetrie in der Nuklearmedizin und insbesondere über die Empfehlung von Kriterien zur Teilkörperdosimetrie des BfS. Er fasste folgende Beschlüsse:



1.
Bei nuklearmedizinischen Anwendungen mit offenen Radionukliden verlangen die zuständigen Landesbehörden die Teilkörperdosimetrie nach § 41 Absatz 3 Satz 4 StrlSchV gemäß der Kriterien des Bundesamts für Strahlenschutz (Anlage 1), wobei unabhängig von der Anwendung lediglich ein Beta-Photonen-Teilkörperdosimeter (TKD) zu tragen ist. Wenn nicht Näheres zu den Expositionsbedingungen im Einzelfall bekannt ist, sollte das Dosimeter palmar am Grundglied des Zeigefingers der nicht-dominanten Hand getragen werden. Die Verpflichtung zur Bestimmung der Personendosis nach § 41 Absatz 3 Satz 1 und 2 StrlSchV bleibt von diesem Beschluss unberührt.


2.
Bei der Übersendung der TKD durch den Strahlenschutzverantwortlichen oder Strahlenschutzbeauftragten gemäß § 41 Absatz 4 Satz 1 StrlSchV an die Messstelle ist keine besondere Kennzeichnung (wie „RSO“) vorzunehmen. Die Ergebnisse der Teilkörperdosimetrie werden seitens der Messstelle bis auf weiteres ohne Korrekturfaktoren an das Strahlenschutzregister weitergeleitet.


Ich bitte Sie, diese Beschlüsse dem Vollzug der Strahlenschutzverordnung zu Grunde zu legen. Die Beschlüsse ersetzen die Inhalte des Rundschreibens des BMU vom 15. September 2009, AZ: RS II 3 -15530/6, GMBl 2010 S. 710.



Des Weiteren bitte ich Sie, vom BfS erarbeitete Strahlenschutzempfehlungen (siehe Anlagen 2–4) für den Umgang mit Radionukliden in der Nuklearmedizin den einschlägigen Personenkreisen, insbesondere den Genehmigungsinhabern und Messstellen, zur Information zukommen zu lassen (siehe http://www.bfs.de/de/bfs/publikationen/broschueren/ionisierende_strahlung/medizin).



Anlagen:



1.


2.
Strahlenschutz beim Umgang mit Betastrahlern in der Nuklearmedizin1 einschließlich der Positronen-Emissions-Tomografie (PET)


3.
Empfehlungen zum Strahlenschutz bei der Radioimmuntherapie mit Y90-markierten Antikörpern


4.
Empfehlungen zum Strahlenschutz bei der Radiosynoviorthese (RSO)




An die
für den Vollzug der Strahlenschutzverordnung
zuständigen obersten Landesbehörden
gemäß Verteiler



vorab per E-Mail





Anlage 1



Empfehlung von Kriterien für die Teilkörperdosimetrie in der Nuklearmedizin



Bundesamt für Strahlenschutz



Das BfS wurde vom BMUB gebeten, Kriterien für die Verpflichtung zur Teilkörperdosimetrie (TKD) in der Nuklearmedizin gemäß des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik zu erarbeiten und mit den von den Ländern verwendeten Kriterien wie den Maßgaben der SSK-Empfehlung Band 43 und der Weisung L-06-01 des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit vom 1. Juni 2012 abzugleichen.



Das Hautexpositionspotential von verschiedenen Radionukliden in der Nuklearmedizin wurde auf der Grundlage von Dosisleistungsfaktoren H‘(0,07) für ein realitätsnahes Szenarium bewertet: den Kontakt mit der Radionuklidlösung in einer unabgeschirmten 5 ml-Spritze.



Die in der Nuklearmedizin in Frage kommenden Nuklide (siehe Spalte 1 der Tabelle) wurden entsprechend ihrer H’(0,07)-Dosisleistungsfaktoren für dieses Szenario in drei Gruppen eingeteilt (siehe Spalte 4):



DL-Faktor > 10 mSv/ (h* MBq)

DL-Faktor zwischen 1 und 10 mSv/ (h* MBq)

DL-Faktor < 1 mSv/ (h* MBq)



Auf Basis der DL-Faktoren und anhand der vorhandenen Messergebnisse an Arbeitsplätzen der Nuklearmedizin (ORAMED-Projekt, BfS-Erhebungsmessungen), siehe Spalten 5 und 6, wurde die Umgangsaktivität pro Jahr abgeschätzt, ab der der Wert für die Organdosis der Haut von 150 mSv erreicht werden kann, nach dem gemäß § 41 Absatz 3 Satz 4 StrlSchV ein Teilkörperdosimeter zu tragen ist, siehe Spalte 7. Die Einteilung unterscheidet zwischen drei Expositionsstufen: Bei den rot unterlegten Nukliden müsste bereits beim Umgang mit mehr als 1 GBq/a TKD angeordnet werden, bei den gelb unterlegten Nukliden wird ab 10 GBq/a und bei Radionukliden mit grüner Hintergrundfarbe wird ab 50 GBq/a der entsprechende Wert für die Anordnung von Teilkörperdosimetern erreicht.



Bei den Messwerten in den Spalten 5 und 6 handelt es sich i. Ü. um Mittel-/Medianwerte von Mitarbeitern in Kliniken/Praxen mit überdurchschnittlich gutem Strahlenschutz. Daher wurde bei den Richtwerten für die jährliche Umgangsaktivität ein Sicherheitsfaktor berücksichtigt.



Wie oben erwähnt, orientierte sich die Verpflichtung zur Teilkörperdosimetrie entweder an Schweizer Regelungen (Dosimetrie beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen, Weisung L-06-01) oder an DL-Faktoren aus der SSK-Empfehlung Band 43.)



Die Schweizer Regelung zum Tragen von Teilkörperdosimetern basiert auf sogenannten LA-Werten, siehe Spalte 8, den „Bewilligungsgrenzen“ für den täglichen Umgang gemäß Tabelle 1 Spalte 10 Anlage 3 der StSV/CH. Sie beinhalten vor allem das Risiko bei Inkorporation der Radionuklide und berücksichtigen nicht das unterschiedliche Risiko von Hautexpositionen durch einzelne Nuklide. So kommen bei Nukliden mit annähernd gleichem Potential für Hautexpositionen Unterschiede von mehreren Größenordnungen bei den Richtwerten (200 LA) zustande, siehe Spalte 9.



   Nuklid   

Eß,max

H'(0,07)-Dosisleistungsfaktor

Umgangsaktivität(ΣA/a)
ab der Kriterium für TKD
erreicht wird
(H
p(0,07) > 150 mSv)

    Schweizer System    

LA

> 200*LA

Punktquelle1)
d = 10 cm

5ml-Spritze2)
d = 0 cm

Messungen3)

  Richtwert  

Bewillig-
  ungsgrenze  

  Kriterium  
für TKD

  Oramed  

   BfS   

[MeV]

[mSv/(b*MBq)]

[GBq/a]

[Bq/a]

[GBq/a]

Ru/Rh-106

3,54

0,96

78



1

k.A.


Sr/Y-90

2,28

1,07

44 (300)4b)

14

5 – 255)

3,0E+06

0,6

Te-132

2,14

0,66

16



2,0E+06

0,4

I-124

2,14

0,27

11



8,0E+05

0,2

Re-188

2,12

1,33

29



7,0E+06

1,4

Ga-68

1,90

1,00

31



6,0E+07

12,0

P-32

1,71

1,17

24



2,0E+06

0,4

Sr-89

1,49

1,22

16



9,0E+05

0,2

Bi-213

1,43

1,36

≈ 109)



1,0E+05

0,02

Ra-223

1,426)

0,61

≈ 209) (20)4a)



9,0E+02

0,0002

Ra-224

2,256)

0,03

≈ 259)



2,0E+03

0,0004

Re-186

1,10

1,52

0,4 (30)4b)



4,0E+06

0,8

Mo-997)

1,21

1,35

7,4



10

5,0E+06

1,0

C-11

0,96

1,48

6,4



7,0E+07

14,0

Au-198

0,96

1,46

3,6



5,0E+06

1,0

F-18

0,63

1,68

2,9

124

33

5,0E+07

10,0

I-1318)

0,61

1,41

1,1



5,0E+05

0,1

Fe-59

0,47

1,12

2,7



2,0E+06

0,4

Co-58

0,48

0,30

2,5



3,0E+06

0,6

In-111   

Eγ = 0,25

0,42

1,2



2,0E+07

4,0

Se-75

Eγ = 0,40

0,08

1,1



3,0E+06

0,6

Rb-81

1,02

1,32

≈ 0,99)



50

7,0E+07

14,0

Rb-82m

0,86

0,40

≈ 0,59)



2,0E+07

4,0

Sm-153

0,81

1,45

0,2


500

7,0E+06

1,4

Lu-177

0,49

1,28

≈ 0,59)



5,0E+06

1,0

Er-169

0,35

1,03

<<10) (0,04)4b)



5,0E+06

1,0

Xe-133

0,35

1,02

<<10)



2,0E+09

400,0

C-14

0,16

0,15

<<10)



9,0E+06

1,8

Sn-113

Eγ = 0,39

0,04

≈ 0,19)



3,0E+06

0,6

Cr-51

Eγ = 0,32

0,003

0,09



1,0E+08

20,0

Ga-67

Eγ = 0,30

0,03

0,4



2,0E+07

4,0

I-123

Eγ = 0,16

0,41

0,6



5,0E+07

10,0

Tc-99m7)

Eγ = 0,14

0,26

0,4

350


2,0E+08

40,0

Co-57

Eγ = 0,12

0,11

0,3



8,0E+06

1,6

Tl-201

Eγ = 0,07

0,15

0,3



7,0E+07

14,0

I-125

Eγ = 0,03

0,36

0,6



7,0E+07

14,0



Die Dosisleistungsfaktoren für Punktquellen in der o.a. Tabelle (die denen in SSK-Band 43, Abb 5.1. entsprechen) sind in geringen Abständen (< 1 m) praktisch unabhängig vom Nuklid bzw. von der Beta-Energie. Sie berücksichtigen daher nicht das unterschiedliche Potential der Nuklide für Hautexpositionen unter realistischen Bedingungen. Unter praktischen Expositionsbedingungen (Nuklidlösungen in Vials, Spritzen o.ä.) führen bereits Selbstabschirmung und Abschirmwirkung der Gefäß Wandungen zu deutlichen, nuklidspezifischen Unterschieden. Hochenergetische Beta-Strahler (Eß,max > 1 MeV) durchdringen die üblichen Wanddicken von Vials, Spritzen und Schläuchen und können daher (bei direktem Hautkontakt und ohne zusätzliche Abschirmung) in relativ kurzer Zeit signifikante Hautdosen verursachen, während Nuklide niedriger Beta-Energie (Er-169, Lu-177) bereits durch Selbstabsorption, durch die Gefäße und durch Schutzhandschuhe stark geschwächt werden.



Wird mit Nukliden aus unterschiedlichen Gruppen (siehe oben) umgegangen, ist bereits bei Erfüllung folgender Bedingung (Summenformel) eine Ermittlung der Teilkörperdosis erforderlich, auch wenn jeder einzelne Richtwert der jährlichen Umgangsaktivität nicht überschritten wird:





Dabei sind Agr,i, Age,i und Art,i, die jährlichen Umgangsaktivitäten (ΣA/a in GBq/a) des i-ten Nuklids der drei Nuklidgruppen (grün, gelb und rot).



1)
Dosisleistung in 10 cm Abstand von einer Punktquelle (MC-Rechnungen, Petoussi et al., GSF-Bericht 7/93).


2)
Dosisleistung bei Kontakt mit 5 ml Radionuklid-Lösung in Plastikspritze ohne Abschirmung (Delacroix et.al. Radiat Prot Dosim 98 (2002)).


3)
Abgeleitet aus Mittel-/Medianwert gemessener maximaler lokalen Hautdosen der am höchsten exponierten Mitarbeiter gruppe (meist MTRA oder Radiochemiker beim Aufziehen der Spritze bzw. der Präparation des Radiopharmakons); Beispiel: ORAMED, Y-90/Zevalin, Mittelwert der Hautdosis bei der Präparation:


11 mSv*GBq-1 = > 150 mSv*a-1 / (11 mSv*GBq-1) = 14 GBq*a-1.


4)
In Klammern BfS-Messwerte.


4a) Messung an einer 5 ml-Spritze.


4b) Messung an einer 1 ml-Spritze; RSO-Nuklide (Re-186, Er-169 und Y-90) werden nur in 1 ml-Spritzen appliziert, d.h. geringere Selbstabsorption und höherer Dosisleistungsfaktor als für 5 ml-Spritze.


5)
5 GBq * a-1 bei RSO, 25 GBq * a-1 bei Radioimmuntherapie (RIT)/ Peptidradiorezeptortherapie (PRRT), abgeschätzt aus Mittel-/Medianwerten der gemessenen aktivitätsnormierten maximalen lokalen Hautdosis.


6)
Beta-Energie der Tochternuklide.


7)
Bei Verwendung von Mo-99/Tc-99m Generatoren ist die Umgangsaktivität von Tc-99m maßgeblich.


8)
Als offenes Radionuklid (z.B. bei Nebennierenmark-Szintigrafie (MIBG)); bei Therapie mit Jodkapseln sind signifikante Teilkörperexpositionen auszuschließen.


9)
Nuklid ist in Delacroix et al. nicht angegeben, Werte geschätzt aus Angaben für Nuklide mit ähnlicher Eß,max·


10)
Nur geringe Dosisleistung durch Bremsstrahlung.