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COVID-19-Pandemie; hier: Vergaberechtliche Fragen

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COVID-19-Pandemie



Fundstelle: GMBl 2020 Nr. 15, S. 292



hier:

Vergaberechtliche Fragen



Bezug:  

Erlass BW I 7 70406/21#1 vom 23.3.2020



In Ergänzung der zu Fragen des Bauvertragsrechts ergangenen Regelungen (Bezugserlass) gebe ich zum Umgang mit den durch die COVID-19-Pandemie auftretenden vergaberechtlichen Fragen die folgenden Hinweise:



I



Ausschreibungsreife Gewerke sind weiterhin zu vergeben.



Planungen sind fortzusetzen und weitere Bauvorhaben zur Ausschreibung zu führen.



II
Rückgriff auf Verhandlungsverfahren und freihändige
Vergaben aufgrund besonderer Dringlichkeit



Die im Rundschreiben des BMWi vom 19.3.2020 (Anlage) gegebenen Hinweise gelten für Bauaufträge, die der Eindämmung der COVID-19-Pandemie dienen, analog. Hierfür kommen z. B. in Betracht:



kurzfristige Schaffung zusätzlicher Kapazitäten im Krankenhausbereich,


Umbauten und Ausstattung zur Erhöhung der Anzahl von Videokonferenzräumen,


Einbau von Trennwänden zur Separierung mehrfach belegter Büros.


Die Aufzählung ist ausdrücklich nicht abschließend, entscheidend ist jedoch, dass die Bauaufträge der Eindämmung der Pandemie dienen.



Bei Baumaßnahmen, die nicht der Eindämmung der COVID-19-Pandemie dienen, ist das Rundschreiben des BMWi nicht anzuwenden.



III
Hinweis auf Umgang mit Bauablaufstörungen



Für neu abzuschließende Verträge ist den Ausschreibungsunterlagen das beigefügte Hinweisblatt zum Umgang mit Bauablaufstörungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beizufügen. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe ist das Hinweisblatt im Anlagenverzeichnis unter Buchstabe A) aufzunehmen.



Damit wird klargestellt, dass die Folgen der COVID-19-Pandemie für den einzelnen Bauvertrag weiterhin unvorhersehbar sind, der Tatbestand der höheren Gewalt also auch bei Neuverträgen ausgelöst werden kann. Neu abzuschließende Verträge sind insoweit also in gleicher Weise zu behandeln wie Bestandsverträge.



IV
Vorlage aktueller Bescheinigungen



Können Unternehmen trotz rechtzeitiger Beantragung von Dritten ausgestellte aktuelle Bescheinigungen (z.B. Unbedenklichkeitsbescheinigungen) nicht rechtzeitig beibringen, weil sich die Ausstellung infolge der COVID-19-Pandemie verzögert, ist an Stelle der Bescheinigung eine Eigenerklärung darüber, dass die Voraussetzungen für die Erteilung weiterhin bestehen, zuzulassen, wenn alle der folgenden Voraussetzungen gegeben sind:



Eine kürzlich abgelaufene Bescheinigung kann vorgelegt werden.


Es bestehen keine begründeten Zweifel, dass das Unternehmen auch nach Ablauf der Gültigkeit seinen für die Ausstellung der Bescheinigung erforderlichen Verpflichtungen nachgekommen ist.


Der Antrag zur Ausstellung der geforderten Bescheinigungen ist der Eigenerklärung beizufügen. Die Antragseinreichung ist entbehrlich, wenn die ausgebende Stelle offenkundig ihre Tätigkeit vorübergehend eingestellt hat.


Für die Fortführung der Präqualifizierung von Unternehmen, die wegen der COVID-19-Pandemie die Nachweise gemäß Nummern 7, 8, 11 und 12 der Anlage 1 zur Leitlinie des BMI vom 28. August 2019 nicht rechtzeitig vorlegen können, wird die Leitlinie vorübergehend ergänzt, die Ergänzung im Bundesanzeiger bekannt gemacht und der PQ-Verein über die Ergänzung der Leitlinie informiert.


V
Angebots-/Vertragsfristen



Soweit die Terminsituation der Baumaßnahme es zulässt sind zur Erhaltung des Wettbewerbes in den Vergabeunterlagen die Angebotsfristen und ggf. die Vertragsfristen (z. B. Beginn der Baumaßnahme) der aktuellen Situation angepasst zu bemessen und ist bei Eingang von darauf gerichteten Anträgen der Unternehmen der Fristablauf für alle Unternehmen in gleichem Maße möglichst zu verschieben. Gleiches gilt in Bezug auf Teilnahmeanträge und auf Gespräche in Verhandlungsverfahren.



VI
Eröffnungstermin entsprechend § 14a VOB/A



Kann wegen Zugangsbeschränkungen zu den Dienstgebäuden oder Kontaktverboten kein Eröffnungstermin stattfinden, ist zunächst zu prüfen, ob das Ausschreibungsverfahren ausschließlich elektronisch, also über die e-Vergabe-Plattform stattfinden kann.



Ist elektronische Vergabe nicht möglich, sind die Bieter über den Entfall des Eröffnungstermins zu informieren. In diesem Fall ist ein Öffnungstermin entsprechend § 14 VOB/A durchzuführen, bei schriftlichen Angeboten ist zu prüfen, ob der Verschluss unversehrt ist. In Ausschreibungsverfahren sind den Bietern die Angaben gemäß § 14 Absatz 3 Buchstabe a bis d VOB/A unverzüglich im vereinbarten Kommunikationsweg zur Verfügung zu stellen.



VII
Vertragsstrafen



In Anbetracht der durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufenen Unsicherheiten hinsichtlich der Bauabwicklung sind Vertragsstrafen nur im Ausnahmefall vorzusehen.



VIII
Geltungsdauer



Die Regelungen gelten bis auf Weiteres.



Auch hier weise ich ausdrücklich darauf hin, dass der Erlass in Anpassung an die sich dynamisch entwickelnde Situation ergänzt, ggf. auch geändert werden kann.





Berlin, den 27. März 2020

BW I 7 – 70406/21#1



Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat

Im Auftrag

Hammann





Nur per E-Mail
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Fachaufsicht führende Ebenen in den Ländern

 



Anlage Hinweisblatt



Die mit Erlass des BMI BW I 7 – 70406/21#1 vom 23.3.2020 herausgegebenen Hinweise zur Handhabung von Bauablaufstörungen werden auf den abzuschließenden Vertrag entsprechend angewendet:



„II. Handhabung von Bauablaufstörungen



Die sich ausbreitende Corona-Pandemie kann Auswirkungen auf die Bauabläufe haben. Zum vertragsrechtlichen Umgang mit Bauablaufstörungen gebe ich folgende Hinweise:



Die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, den Tatbestand der höheren Gewalt im Sinne von § 6 Absatz 2 Nummer 1 lit. c VOB/B auszulösen. Höhere Gewalt ist ein unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist.



Das Vorliegen dieser strengen Voraussetzungen kann auch in der jetzigen Ausnahmesituation nicht pauschal angenommen werden, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich muss derjenige, der sich darauf beruft, die die höhere Gewalt begründenden Umstände darlegen und ggf. beweisen. Beruft sich der Unternehmer also auf höhere Gewalt, müsste er darlegen, warum er seine Leistung nicht erbringen kann. Das kann z. B. der Fall sein, weil



ein Großteil der Beschäftigten behördenseitig unter Quarantäne gestellt ist und er auf dem Arbeitsmarkt oder durch Nachunternehmer keinen Ersatz finden kann,


seine Beschäftigten aufgrund von Reisebeschränkungen die Baustelle nicht erreichen können und kein Ersatz möglich ist,


er kein Baumaterial beschaffen kann.


Kostensteigerungen sind dabei nicht grundsätzlich unzumutbar.



Die Darlegungen des Auftragnehmers müssen das Vorliegen höherer Gewalt als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, ohne dass sämtliche Zweifel ausgeräumt sein müssen. Auf Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Bescheinigungen und Nachweisen ist mit Blick auf die Überlastung von Behörden und die stark reduzierte Geschäftstätigkeit der Privatwirtschaft Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet, die vom Auftragnehmer geforderten Darlegungen im Einzelfall mit Augenmaß, Pragmatismus und mit Blick auf die Gesamtsituation zu handhaben.



Der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie und eine rein vorsorgliche Arbeitseinstellung erfüllt den Tatbestand der höheren Gewalt aber nicht. Ebenso bitte ich um besonderes Augenmerk, falls der Auftragnehmer schon bei der bisherigen Leistungserbringung Schwierigkeiten hatte und sich nun auf die Corona-Pandemie beruft.



Höhere Gewalt kann auch auf Seiten des Auftraggebers eintreten, beispielsweise, weil die Projektleitung unter Quarantäne gestellt wird. Dabei wäre dann – entsprechend der an die Auftragnehmer gestellten Anforderungen und nach denselben Maßstäben – zu dokumentieren, dass und warum die Projektleitung nicht aus dem Homeoffice erfolgen kann, oder dass und warum keine Vertretung organisiert werden kann.



Falls das Vorliegen höherer Gewalt im Einzelfall angenommen werden kann, verlängern sich Ausführungsfristen automatisch um die Dauer der Behinderung zzgl. eines angemessenen Zuschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten (§ 6 Absatz 4 VOB/B).



Beruft sich der Auftragnehmer nach den o. g. Maßstäben zu recht auf höhere Gewalt, entstehen gegen ihn keine Schadens- oder Entschädigungsansprüche.



Bei höherer Gewalt gerät auch der Auftraggeber nicht in Annahmeverzug; die Voraussetzungen des § 642 BGB liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 20.4.2017 – VII ZR 194/13; die dortigen Ausführungen zu außergewöhnlich ungünstigen Witterungsverhältnisses sind nach hiesiger Ansicht – erst recht – auf eine Pandemie übertragbar). Das gilt insbesondere auch für Fallkonstellationen, in denen ein Vorgewerk aufgrund höherer Gewalt nicht rechtzeitig erbracht werden kann und nun das nachfolgende Gewerk deswegen Ansprüche wegen Behinderung gegen den Auftraggeber erhebt.“