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Bekanntmachung einer Empfehlung der Strahlenschutzkommission (Zur Bewertungsmethodik diagnostischer Verfahren - vom 17. Juli 2014)

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Bekanntmachung einer Empfehlung der Strahlenschutzkommission
(Zur Bewertungsmethodik diagnostischer Verfahren –
vom 17. Juli 2014)



Vom 10. Dezember 2014



Fundstelle: BAnz AT 26.01.2015 B3





Nachfolgend wird die Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK), verabschiedet in der 270. Sitzung der Kommission am 17./18. Juli 2014 bekannt gegeben.



Bonn, den 10. Dezember 2014
RS II 2 - 17027/2



Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit



Im Auftrag
Dr. Böttger





Anlage





Zur Bewertungsmethodik diagnostischer Verfahren
Empfehlung der Strahlenschutzkommission



Verabschiedet in der 270. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 17./18. Juli 2014



1 Empfehlung



Diagnostische Verfahren unter Nutzung von ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen werden zunehmend unter Wirtschaftlichkeitserwägungen, z.B. vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), einer Nutzenbewertung anhand einer Veränderung des nachgeschalteten Therapieergebnisses unterzogen.



Die SSK sieht bei einer obligaten Gesamtevaluierung der diagnostisch-therapeutischen Kette in prospektiven klinischen Studien das Risiko einer vermeidbaren Strahlenexposition von Patienten bzw. Probanden. Alternative Evaluierungsinstrumente können, wie im Folgenden ausgeführt, die Fallzahlen von Patienten bzw. Probanden minimieren. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass eine Verbesserung der Diagnostik bei heute unheilbaren oder suboptimal therapierbaren Erkrankungen die Basis für zukünftige Verbesserungen der Therapie darstellt.



Die SSK empfiehlt auf der Basis der nachfolgend angeführten Überlegungen, die derzeit angewandte Bewertungsmethodik diagnostischer Verfahren mit obligater Kopplung an das therapeutische Outcome zu verwerfen.



Es ist aus Sicht der SSK sinnvoll, wo immer möglich andere methodische Ansätze zu verfolgen, die auf die suffiziente separate Überprüfung der einzelnen Komponenten der diagnostisch-therapeutischen Kette abzielen. Ist eine Therapie anerkannt, so ist zu evaluieren, ob eine neue Diagnostik in der Lage ist, die Selektion von Patienten für diese Therapie bzw. die Auswahl zwischen Therapien zu verbessern. Ist eine Diagnostik für eine bestimmte Indikation anerkannt, soll sie ohne weitere Prüfung als Grundlage für die Entwicklung neuer Therapieverfahren eingesetzt werden.



2 Begründung



Radiologische und nuklearmedizinische Verfahren in der medizinischen Diagnostik werden seit Jahrzehnten zum großen Nutzen der Bevölkerung eingesetzt. Hierbei sichert das Prinzip der rechtfertigenden Indikation in der Verantwortung des fachkundigen Arztes die unter Strahlenschutzaspekten verantwortbare Anwendung der zur Verfügung stehenden Methoden. Die technologische Entwicklung gemeinsam mit der medizinischen Forschung hat hierbei zur Einsatzreife von Verfahren mit verbesserter diagnostischer Qualität, zum Teil verbunden mit einer reduzierten Strahlenexposition des Patienten und des Personals, geführt. Die Strahlenschutzkommission hat diesen Prozess über Jahre begleitet und begrüßt den positiven Effekt des zielgerichteten und indizierten Einsatzes radiologischer und nuklearmedizinischer Methoden in der Früherkennung, Diagnostik und Therapiekontrolle vieler Erkrankungen, der nicht unerheblich zur Erhaltung und Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung beiträgt.



Es ist daher wünschenswert, neben erprobten auch neue, innovative radiologische und nuklearmedizinische Verfahren baldmöglichst für die klinische Anwendung zugänglich zu machen. Dadurch können auch etablierte Verfahren durch neue Methoden mit weniger oder ohne Strahlenexposition ersetzt werden. Hierbei hat sich über Jahrzehnte etabliert, eine Methode, wie z.B. den Ultraschall oder die Magnetresonanztomographie, für die Versorgung zugänglich zu machen, wenn verbunden mit allgemeinen Nutzen-Risiko-Erwägungen ein diagnostischer Vorteil plausibel war. In jüngerer Zeit wird nun zusätzlich im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsbewertungen über diesen diagnostischen Vorteil hinaus ein weiterer, am Behandlungsergebnis orientierter Nachweis des Nutzens diagnostischer Methoden gefordert.



Unter diesem Paradigma wird unter Wirtschaftlichkeitserwägungen von Anderen, u. a. dem G-BA, gefordert, die Nutzenbewertung der diagnostischen Verfahren anhand prospektiver randomisierter Studien der kompletten diagnostischtherapeutischen Kette durchzuführen, aus denen anhand patientenrelevanter Parameter, wie Überleben oder Krankheitsfreiheit nach erfolgter Behandlung, der Vorteil durch die prätherapeutisch eingesetzten radiologischen und nuklearmedizinischen Verfahren abgeleitet wird. Liegen solche Studien nicht vor, wird die Methode bzw. die Erstattung der durch sie entstehenden Kosten abgelehnt.



An diesem Vorgehen ergeben sich aus Sicht der SSK aus folgenden Gründen erhebliche methodische Zweifel:



1.
Qualität aller Kettenglieder


Da es in der Regel weder möglich ist, eine maximale diagnostische Genauigkeit noch maximale Therapieerfolge zu erzielen, besteht das Risiko, durch Insuffizienz eines Kettenglieds die Qualität des anderen falsch zu bewerten. Der als allein patientenrelevant definierte therapeutische Endpunkt, z.B. Überleben oder Lebensqualität, wird in der Regel zu einem überwiegenden Anteil durch das eingesetzte Therapieverfahren, seine Qualität, korrekte Indikationsstellung, komplette Durchführung etc. bestimmt, weniger durch eines von oft mehreren prätherapeutisch eingesetzten diagnostischen Verfahren. Dazu kommen individuelle Prognosefaktoren, die sich unabhängig von Diagnostik und Behandlung auf die therapeutischen Endpunkte auswirken.


Durch die Nutzenbewertung anhand von prospektiven randomisierten Therapiestudien wird der Diagnostik nun quasi auferlegt, die Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit der gesamten diagnostisch-therapeutischen Kette zu belegen. Greift die Therapie nicht oder liegt eine unheilbare Erkrankung vor, wird dies einer vermeintlich schlechten Diagnostik angelastet und das diagnostische Verfahren hierdurch verworfen.


Im Umkehrschluss erscheint es ebenso abwegig, bei Studien zur Überprüfung eines neuen oder optimierten Therapieverfahrens eine Reevaluierung der zugrundeliegenden Diagnostik zu fordern.


2.
Probandenzahl


Die mögliche „Verwässerung“ der diagnostikrelevanten Ergebnisse einer prospektiven randomisierten Therapiestudie durch die Schnittstelle Diagnostik/Therapie bedingt eine sehr viel größere erforderliche Studienpopulation als nur die Betrachtung der Diagnostik bzw. Therapie an sich, ohne eine bessere Beurteilung des jeweiligen Verfahrens zu ermöglichen. Solche wissenschaftlich unnötig großen Studienpopulationen ziehen ggf. eine aus Sicht des Strahlenschutzes unzulässige Strahlenexposition von Patienten, Personal und Bevölkerung durch ein im Endergebnis unterlegenes Verfahren nach sich.


3.
Endpunkte


Während derzeit als patientenrelevante Endpunkte lediglich die in klinischen Studien leicht messbaren Parameter, wie z.B. Überleben oder Krankheitsfreiheit, herangezogen werden, dürfen bei der Bewertung des Nutzens diagnostischer Verfahren aus Sicht der SSK zudem Aspekte wie Strahlenschutz, Invasivität der Diagnostik, Geschwindigkeit der Diagnosestellung und Reproduzierbarkeit ebenso wenig außer Acht gelassen werden wie der Wert der Kenntnis eines Patienten über seinen Gesundheitszustand und die Prognose bei schwerwiegender Erkrankung und darauf aufbauend die Entscheidung, welche Qualität und Intensität an Nebenwirkungen einer Therapie noch akzeptiert werden können.


4.
Zeitverlust


Die Planung und Durchführung qualitativ hochwertiger neuer Therapiestudien zum Nachweis des Nutzens einer diagnostischen Methode erfordert neben der zukunftsfesten Formulierung von Fragestellung und Protokoll, der Identifikation möglicher Studienzentren und der Motivation von Geldgebern sehr viel Zeit. Die Ergebnisse einer heute konzipierten multizentrischen Therapiestudie sind typischerweise in etwa 6 bis 8 Jahren publikationsreif, d. h. zum Wohl der Allgemeinheit verwertbar. Abgesehen von der in dieser Zeit weiter fortschreitenden technologischen Entwicklung in Diagnostik und Therapie, die die Fragestellung möglicherweise schnell veralten lässt, wird beim derzeitigen Verfahren der oft evidente Nutzen (z.B. die höhere Bildqualität verbunden mit einer geringeren Strahlenexposition wie beim Vergleich Gallium-Szintigraphie vs. FDG-PET) für diese Zeit der Bevölkerung vorenthalten. Insbesondere bei Verfahren mit geringerer Strahlenexposition ist dies aus Sicht des Strahlenschutzes nicht vertretbar.


5.
Spätfolgen


Aus der Perspektive des Strahlenschutzes sind bei der Nutzen-Risiko-Bewertung einer Tumortherapie, wie Strahlen- oder Chemotherapie, neben relativ kurzfristigen Effekten, wie Früh-Toxizität und Tumorkontrolle, auch Gewebs-Spätfolgen und dabei insbesondere Spätfolgen mit Latenzen von bis zu 30 Jahren zu berücksichtigen. Daneben ist die Induktion von sekundären Primärtumoren durch die Therapie zu beachten. Diese Nebenwirkungen sind nicht selten, aber in regulären randomisierten Studien aufgrund deren Dauer häufig nicht nachzuweisen. Auch eine durch den Einsatz neuer diagnostischer Verfahren geänderte Therapiestrategie mit vorhergesagter Verminderung dieser Risiken stellt aus der Sicht des Strahlenschutzes einen klaren Patientennutzen dar.


6.
Erkenntnisgewinn


In den Naturwissenschaften ist es üblich, zunächst die einzelnen Einflussfaktoren zu identifizieren und jeden für sich zu analysieren. Dadurch werden Erkenntnisse gewonnen, die dann in einer Synthese für die Beantwortung der Gesamtfragestellung verwendet werden. Dieses Vorgehen erscheint auch in der medizinischen Diagnostik mit nachfolgender Therapie angemessen.


Neben diesen aufgeführten Argumenten muss betont werden, dass optimierte (also effektivere oder auch weniger toxische) Therapieverfahren oft erst durch die Verfügbarkeit verbesserter diagnostischer Methoden ermöglicht werden. Deren therapeutische Implikationen sind initial häufig bei weitem nicht absehbar. Beispiele, wie der Ersatz von Operationen durch interventionelle radiologische Verfahren (Stent-Implantation am Herzen statt Bypass-OP, Voraussetzung: Verfügbarkeit des diagnostischen Verfahrens der Angiographie) oder die stereotaktischen Methoden in der Neurochirurgie (Nadel-Biopsie statt Hirn-OP, Voraussetzung: Verfügbarkeit dreidimensionaler CT- bzw. MRT-Bilddaten) belegen dies eindrucksvoll.



Aufgrund der hier aufgeführten Argumente ist es aus Sicht der SSK aus strahlenhygienischen Überlegungen sinnvoll, wo immer möglich andere methodische Ansätze zu verfolgen, die auf die suffiziente separate Überprüfung der einzelnen Komponenten der diagnostisch-therapeutischen Kette abzielen. Ist eine Therapie anerkannt, so ist zu evaluieren, ob eine neue Diagnostik in der Lage ist, die Selektion von Patienten für diese Therapie bzw. die Auswahl zwischen Therapien zu verbessern. Ist eine Diagnostik für eine bestimmte Indikation anerkannt, soll sie ohne weitere Prüfung als Grundlage für die Entwicklung neuer Therapieverfahren eingesetzt werden.



Insbesondere im Hinblick auf Probandenzahl, Zeitverlust und späte Therapiefolgen empfiehlt die SSK, die – für Medikamentenstudien entwickelten methodisch sicher als Goldstandard geltenden – randomisierten Studien durch die Anwendung alternativer Konzepte, wie z.B. die Kombination von Genauigkeitsstudien mit „decision modelling“, die Kopplung von Pattern-of-Care-Analysen mit Register-Lösungen oder epidemiologische Studien, zu ersetzen. Durch die Identifikation und Verwendung bereits vorhandener, voneinander unabhängig generierter Studiendaten aus den Bereichen Diagnostik und Therapie wird so die erforderliche Studienpopulation angemessen gering gehalten, und idealerweise kann sogar auf neue klinische Studien und damit auf eine unnötige Strahlenexposition von Patienten bzw. Probanden verzichtet werden. Je nach der Wahl des Endpunktes lassen sich hier sogar die Auswirkungen einer neuen diagnostischen Methode auf Strahlenspätfolgen modellieren. Durch die Verwendung vorhandener Daten wird zudem der erforderliche Zeitrahmen für die Bewertung der dann noch aktuellen Methoden erheblich verkürzt.



Die SSK empfiehlt daher, solche Analyseverfahren in die Bewertungsmethodik diagnostischer Verfahren zu integrieren und die obligate Kopplung an das therapeutische Outcome zu verwerfen.



3 Literatur



Hillman et al. 2013 

Hillman BJ, Frank RA, Abraham BC. The Medical Imaging & Technology Alliance Conference on Research Endpoints Appropriate for Medicare Coverage of New PET Radiopharmaceuticals. J Nucl Med 2013; 54: 1675-79

Vach et al. 2011

Vach W, Hoilund-Carlsen PF, Gerke O, Weber WA. Generating evidence for clinical benefit of PET/CT in diagnosing cancer patients. J Nucl Med 2011; 52 Suppl 2: 77S-85S